Zeit des Lavendels (German Edition)
ihr Recht forderte.
Warm eingewickelt in weiche Tücher lag das Kind in ihrem Arm. Katharina legte das Baby an die Brust. Anna hatte sich gegen den Eintritt in diese Welt nach Kräften gewehrt. Doch nun, wo sie schon einmal da war, saugte sie gierig, wollte leben mit allen noch unbewussten Fasern ihres kleinen Körpers. Zärtlich betrachtete Katharina ihre Tochter. Die Fäustchen geballt, mit fest geschlossenen Augen und verschrumpeltem Gesicht lag sie in ihren Armen, ein Büschel roter Haare auf dem Kopf. Dieses Kind würde einmal einen festen Willen haben, das sah man schon jetzt. Doch noch war es hilflos, vollständig darauf angewiesen, dass sie es beschützte. Und das würde sie tun. Bei allen Heiligen.
Das schworen sich beim Anblick der Mutter mit ihrem Kind noch drei andere Menschen. Konz Jehle, der kurz darauf ins Zimmer kam, um nach den beiden zu sehen, wurde von einer so wilden Welle der Zärtlichkeit überflutet, dass er kaum atmen konnte. Der kleine Thomas an seiner Hand blickte mit großen Augen auf die neue Schwester. Auch sein Herz flog ihr zu, noch ehe sie die Augen aufgeschlagen hatte. Die dritte war Magdalena von Hausen. Sie hatte nie ein eigenes Kind gehabt und zweifelte im Stillen, ob sie jemals in ihrem Leben eines haben würde. Denn die Zeit, in der sie gebären konnte, neigte sich dem Ende zu. Dieses kleine Wesen hier war mit ihrer Hilfe auf die Welt gekommen. Mehr Mutter würde sie wohl niemals werden. So stimmte sie freudig zu, als Katharina und Konz sie baten, die Patin der kleinen Anna zu werden.
Das kleine Mädchen beschäftigte noch andere. Kaum war sie am Leben, wurde sie schon zum Mittelpunkt des Hasses. Die Hexe hatte eine Teufelsbrut zur Welt gebracht! Eine rothaarige, kleine Ausgeburt des Satans. Mit einem Feuermal über dem Herzen. »Rottet sie aus, rottet diese Brut aus, ehe es noch mehr werden.« Der Schrei flog von Mund zu Mund, von Haus zu Haus, wurde aufgenommen und weitergegeben. »Teufelsbrut, Teufelsbrut, rottet sie aus diese Teufelsbrut, ertränkt sie in ihrem eigenen Blut.« Immer größer wurde die Menge vor dem Haus Magdalenas.
Zunächst standen die Menschen einfach nur dort und warteten, so als hätten sie angesichts des Hauses der Äbtissin plötzlich Angst bekommen vor ihrem eigenen Mut. Aber es ging eine fühlbare Bedrohung von ihnen aus. Nicht lange, da erhob sich wieder eine kreischende Stimme: »Gebt uns die Hexe heraus mit ihrem Kind.« Als hätten alle nur darauf gewartet, pflanzte sich diese Forderung fort. Zuerst war es ein Raunen, am Ende ein raues, fast tierisches Gebrüll: »Die Hexe heraus, die Hexe heraus!«
Die Menschen im kleinen Geburtszimmer empfanden die Bedrohung fast körperlich. Magdalena von Hausen hob den Kopf. »Ich werde hinausgehen und mit ihnen reden. Auf mich hören sie vielleicht.«
Konz versuchte sie zurückzuhalten, doch Magdalena machte sich los. »Ich bin die Einzige, die jetzt noch zu ihnen durchdringen kann. Mir werden sie glauben.«
Die Menschen verstummten, als die Äbtissin plötzlich vor ihnen stand. »Was wollt ihr, warum stört ihr den Frieden meines Hauses? Warum zwingt ihr mich, nach draußen zu gehen und gegen den Befehl unseres allergnädigsten Herrn Ferdinand von Habsburg zu verstoßen? Geht in eure Häuser. Geht heim. Hier ist keine Hexe. Nur eine erschöpfte Frau mit ihrem Kind. Der Teufel ist nicht in ihr. Der Teufel ist in euch. Schaut in eure Herzen, seht, wie er tanzt. Eure unsterbliche Seele will er haben und freut sich schon. Denn ihr gebt sie ihm willig. Geht heim, gute Leute. Akzeptiert, was der Himmel euch schickt, und lasst dem Teufel, was des Teufels ist. Geht. Denkt an eure eigenen, unschuldigen Kinder. Wieso sollte dieses ausgerechnet eine Brut des Satans sein? Noch ist es kaum auf der Welt. Mit meinen eigenen Händen habe ich es in Empfang genommen und seinen Eingang in dieses Leben gesegnet. Dieses Kind ist Gottes Geschöpf, so wie wir alle. Was könnte ein so kleines Kind euch schon tun? Geht heim!«
In die Menge geriet Bewegung. Die Ersten wandten sich schon um, um zu ihren Häusern zurückzukehren, wie es die Äbtissin gesagt hatte.
Doch plötzlich durchschnitt eine schrille Stimme das betretene Schweigen. »Behext seid Ihr, Euch hat sie auch behext. Der Teufel hat dem Kind seinen Stempel schon aufgedrückt. Stimmt es nicht, es hat ein Feuermal? Sagt es, sagt es!« Bis in ihr Zimmer hörte Katharina die aufgebracht kreischende Elisabeth. Warum hasste diese Frau sie nur so?
Magdalena von Hausen
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