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Zeit des Lavendels (German Edition)

Zeit des Lavendels (German Edition)

Titel: Zeit des Lavendels (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Gabriel
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die Geburt des Kindes in weniger als einem Monat bevor. Sobald das Kleine etwas größer war, würde man weitersehen. Wenn Katharina für den Moment außer Sichtweite für die Menschen blieb, würden vielleicht einige das Getratsche vergessen. Schultheiß Bürgin, ein besonnener Mann und heimlicher Verehrer Magdalenas, strich besorgt über seinen runden Bauch, versprach aber, sein Möglichstes zu tun, um das böse Gerede im Keim zu ersticken. Er machte den anderen indessen nicht viel Hoffnung. Kaum jemand war in diesen Tagen davor gefeit, mit dem Willen Gottes und dem Schicksal zu hadern. Der nächste Hungerwinter stand in einigen Monaten vor der Tür. Wenn es bald aufhörte zu regnen, konnte vielleicht noch etwas von der Ernte gerettet werden; auch wenn es nicht reichen würde. Trotzdem mussten gute Nachrichten unter die Leute. So beschloss der Schönauer, öffentlich verkünden zu lassen, er werde die Speicher des Stiftes öffnen und auch die Dinghöfe anweisen, dasselbe zu tun, sollte es wieder zu einem Hungerwinter kommen. Außerdem sollte die Fälle gestundet werden, jene Kopfsteuer, die beim Tod eines Hörigen anfiel. Früher war es das beste Gewand oder das beste Stück Vieh im Stall gewesen. Inzwischen hatte das Stift für die Abgabe einen Geldwert festgesetzt, der sich auch am Ertrag des überlassenen Landes und den Zinszahlungen orientierte. Für die Hörigen des Dinghofes Murg lag er bei fünf Pfund - das war der Wert von 30 Schafen. So hatte die betroffene Familie des Hörigen bei seinem Tod zweifach Kummer und Not zu bewältigen. Mit der Stundung und der Versorgung mit dem Nötigsten aus den Speichern des Stiftes wäre wenigstens das schlimmste Elend gelindert, und die Zukunft sähe für die Gotteshausleute, die vom Stift Abhängigen und Hörigen nicht ganz so düster aus. Vielleicht würde auch das helfen, das Hexengeschrei zum Verstummen zu bringen.
    Doch so wenig wie der Regen aufhörte, so wenig vergaßen die Menschen. Sie hatten Blut geleckt. Auch wenn sie abgeschieden lebte und sich nur nachts nach draußen wagte, um ihren Mann und ihren Sohn zu sehen, spürte Katharina die Bedrohung wie eine Mauer, die sich höher und höher auftürmte und ihr bald jede Luft zum Atmen nahm. Nur ganz wenige Besonnene konnten sich diesem Strudel entziehen: Ihre Stimmen gingen unter im lauten Chor derer, die die Bestrafung der Hexe forderten.
    Noch wagte niemand das Asyl zu stören, das Magdalena von Hausen Katharina bot. Doch das war nur noch eine Frage der Zeit. Katharina wurde das endgültig klar, als selbst Lehrschwester Mechthild sich hastig bekreuzigte und das Zeichen gegen den bösen Blick machte, als sie ihr eines Tages im Hof begegnete. Selbst diese Frau, die sie schon so lange kannte, war in jenen tödlichen Sog geraten.
    In diese schwere Zeit hinein wurde die kleine Anna geboren. Es waren schwere Stunden für Katharina. Es schien, als wolle ihre kleine Tochter nicht in diese Welt. Die alte Nele war tot, den Bader duldete sie nicht an ihrem Bett. Er kannte sich mit dem Ziehen von Zähnen aus und dem Schneiden von Haaren. Von einer Geburt verstand er nichts. So versuchte sie zwischen ihren Wehen und Schreien der völlig hilflosen Magdalena von Hausen zu erklären, was zu tun war. Mehrere Male dachte Katharina, sie würde sterben, und war eigentlich noch nicht einmal besonders traurig darüber. Sie war müde, zerrissen von Schmerzen und Wehen, die das kleine Wesen in ihr nur ganz langsam nach draußen trieben. Doch dann war Anna da, geboren inmitten eines Schreis und mit der letzten Kraft ihrer Mutter. Katharina wurde ohnmächtig. Konz Jehle, der draußen vor dem Zimmer hin- und herlief, hätte vor lauter Sorge beinahe die Türe eingetreten. Doch er zwang sich zur Ruhe. Er wusste, er würde die Lage mit seiner Verwirrung nur noch komplizierter machen. Helfen konnte er ohnehin nicht. So biss er sich in seiner Erregung die Fingerknöchel blutig.
    Magdalena von Hausen und ihre Zofe hielten sich sorgsam an das, was ihnen die werdende Mutter zwischen den Wehen erklärt hatte. Mit warmen Tüchern nahmen sie Katharinas kleine Tochter in Empfang, umwickelten die Nabelschnur an zwei Stellen fest mit Garn und schnitten sie durch. Dann massierten sie der Ohnmächtigen sanft den Bauch, bis die Nachgeburt kam. Katharina bekam dies alles nur im Unterbewusstsein mit, aus der Ohnmacht glitt sie allmählich in einen stärkenden Schlaf hinüber. Sie schlief zehn Stunden lang und erwachte erst, als ihre kleine Tochter lautstark

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