Zeit des Lavendels (German Edition)
Verunsicherung gewesen. Umso mehr jetzt, als sogar der Bestand des Stiftes gefährdet war. Nun schien auch der Himmel gegen die Stadt zu sein.
Wie immer in solchen Zeiten suchten die Menschen nach Ursachen — und fanden sie zumeist in den schwächeren Gliedern der Gemeinschaft. Wieder lebte also das Gerede über Katharina auf, das unter dem Eindruck der Ereignisse, in deren Mittelpunkt Magdalena von Hausen stand, verstummt war. Doch noch war es nicht so schlimm. Noch konnten die Menschen von der vergangenen Ernte zehren. Und ein schlechteres Jahr gab es immer wieder einmal zwischendurch. Aber die Frauen machten besorgte Gesichter und tuschelten untereinander, wenn Katharina vorüberkam.
Zwei Wochen gingen ins Land, bis die Delegation wieder aus Ensisheim zurückkehrte. Die Männer brachten gute Nachrichten mit. Der ehemaligen Äbtissin war gestattet worden, wieder in ihrem früheren Haus im Alten Hof zu leben. Dort, wo sie schon als junges Mädchen und als Stiftsdame gewohnt hatte. Allerdings würde sie unter striktem Hausarrest bleiben. Doch es kam noch besser: Magdalena von Hausen wurde in Aussicht gestellt, dass sie freikommen könnte — so sie sich vom Ketzertum abwandte und sich von ihrem Ehemann Thomas Leimer lossagte.
Diese Absicht hatte sie aber keineswegs, im Gegenteil. Sie weigerte sich strikt, solchen Vorschlägen auch nur weiter zuzuhören. Wie schon zuvor blieb sie treu in ihrem neuen Glauben. Ebenso treu stand sie zu ihrem verschwundenen Ehemann. Doch immerhin, sie konnte zurück in ihr eigenes Heim. Das war eine große Erleichterung, vor allem für die Schönauerin, die langsam genug von diesem Gast in ihrem Haus hatte.
Für Katharina begann eine Zeit mit viel Arbeit. Nicht nur war die Ernte einzubringèn und zu verarbeiten, das Gemüse aus ihrem kleinen Garten für den Winter einzulagern, die Äpfel und Birnen zu pflücken, das Fleisch einzusalzen und zu räuchern, nun musste sie auch noch Magdalena von Hausen bei ihrem Umzug helfen. Doch sie beklagte sich nicht. Besonders als sie sah, wie glücklich diese in ihrem neuen Heim war. Dort, wo sie einst mit ihrer Schwester so viele Träume gesponnen und so viele Ideen diskutiert hatte. Die Gutenberg-Bibel kam natürlich wieder mit. Auch das Konstanzer Gesangbuch. Über all dem war wieder keine Zeit für Katharina, Magdalena von Hausen endlich auf ihre Herkunft anzusprechen.
Kaum war die ehemalige Äbtissin sicher untergebracht in ihrem ehemaligen Häuschen im Alten Hof, da kam eine neue Hiobsbotschaft: Die alte Nele lag im Sterben.
Als Katharina die Tür zu der kleinen Hütte öffnete, erkannte sie sofort, dass es diesmal keine Rettung geben würde. Der Geruch des Todes lag über dem Raum. Anders als beim letzten Mal hatte Nele keine Probleme mehr mit dem Nahen des Todes. Sie hatte ihre Angelegenheiten gerichtet, in Katharina eine Nachfolgerin als Wächterin der Seconia gefunden. Zwar wusste die junge Frau noch nicht so viel wie sie über die Heilkraft bestimmter Kräuter, doch das würde sie lernen. Sie war geschickt und verstand es, darauf zu hören, was die Pflanzen ihr über sich erzählten. Außerdem hatte sie eine ganz besondere Kraft in ihren Händen, die fiebrige Kinder zum Einschlafen brachte und vor Schmerz brüllende Tiere beruhigte. Sie konnte also gehen, ohne sich Sorgen zu machen. Seggingen hatte eine neue Heilerin.
Erst nach ihrem Tode wurde klar, wie vielen Menschen die alte Nele in ihrem Leben geholfen hatte. Manche kamen verstohlen in der Nacht zur kleinen Hütte, um von der verschrumpelten, zusammengesunkenen Gestalt unter den Decken Abschied zu nehmen. Viele erschienen jedoch ganz offen, um einen letzten Blick auf diese außergewöhnliche Frau zu werfen, ihr eine kleine Erinnerung oder ein Dankesgeschenk mit auf den letzten Weg zu geben. Mal war es eine Blume, dann ein Hufeisen, die Windel eines Kindes und sogar einige Schmuckstücke wurden der Toten in den Sarg gelegt. Als dann die tote Nele aufgebahrt war und den letzten Gang zum Friedhof antrat, sammelte sich nach und nach ein langer Zug von Menschen hinter dem einfachen Tannenholzsarg. Er wurde von Konz Jehle, Schultheiß Bürgin, Fridolin Wasmer, dem Meister der Fischerzunft, und Franz Strittmatter getragen, einem der Männer des Schönauers, die Katharina nach Ensisheim begleitet hatten.
Zuerst folgten nur Katharina und ihr Sohn Thomas der alten Frau zum Friedhof. Doch an jedem Haus, an dem der Zug vorbeikam, gesellte sich eine weitere Familie dazu. Es wurde eine
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