Zeit für Eisblumen
eingeschaltetes Bügeleisen gestolpert war, sollte ich wohl nicht allzu überrascht sein.
„Torsten und ich möchten jetzt tanzen“, stammelte sie ins Mikrofon. Als ich die Augen öffnete, flüchtete sie in ihrem spitzenbesetzten Sissikleid von der Bühne.
„Scherben bringen Glück!“ Torstens dicker Vater hielt sein Bierglas in die Höhe. „Prost! Auf meine liebreizende Schwiegertochter.“
Die anderen Gäste hoben unsicher ebenfalls ihre Gläser. Zum Glück fing die Band in diesem Moment an, die langsamen Walzerklänge von „Moonriver“ anzustimmen und Lilly verbarg ihr Gesicht verlegen an Torstens Revers. Er flüsterte ihr etwas ins Ohr, was sie zum Kichern brachte. Obwohl ich ihn normalerweise nicht ausstehen konnte, beneidete ich meine Schwester fast ein wenig. Am Ende des Liedes ging Lilly auf unseren Vater zu, Torsten forderte seine Mutter auf. Sein Vater blickte sich suchend um und für einen Augenblick blieben seine Augen wohlwollend an mir hängen. Laut Torsten passte ich genau in sein Beuteschema, das sich überwiegend auf dreißig Jahre jüngere Blondinen beschränkte. Schnell zerrte ich Sam auf die Tanzfläche. „Gott sei Dank. Der Kelch ist noch einmal an mir vorbeigegangen.“ Ich lehnte mich an seine Schulter.
„Ich bin gespannt, ob du das immer noch sagst, wenn das Lied zu Ende ist.“ Im Tanzen war mein Freund ein hoffnungsloser Fall.
„Und ich bin mir sicher, dass du dich bemühst, deine Füße unter Kontrolle zu bringen. Sonst brenne ich am Ende des Abends mit dem blondgelockten Keyboarder durch. Du kennst meine Schwäche für Musiker.“
Sam grinste. Er selbst hatte eine schöne Stimme und Klavier spielen konnte er auch. Leider war er jedoch erst ab einem Alkoholpegel von einem Promille auch dazu bereit, sein musikalisches Können der Öffentlichkeit zu präsentieren. Zu schade! Denn seitdem ich vor einigen Jahren mit meiner besten Freundin Nina auf einem 3-Doors-Down-Konzert gewesen war, träumte ich davon, einen Freund zu haben, der auf einer Bühne stand und ein Liedchen für mich ins Mikrofon schmachtete. Ein schmerzhafter Tritt auf meine nackten Zehen weckte mich unsanft aus meinen Träumereien. Nicht zu fassen! Warum musste sich Sams Talent allein auf Hände und Stimme beschränken?
Auf einmal merkte ich, dass etwas mit mir nicht stimmte. Mir wurde schwindelig und in meinen Augenwinkeln hüpften blitzende Punkte auf und ab. Ich hätte vorhin am Buffet doch beherzter zugreifen sollen. Doch die Love Handles an meiner Taille gingen bestimmt nicht weg, indem ich mir den Bauch mit Antipasti und italienischen Dessertspezialitäten vollschlug. Und so hatte ich mich mit einem gemischten Salat und einem Stück gegrilltem Rinderfilet begnügt. Vielleicht lag mein Unwohlsein auch an der stickigen Luft im Saal oder daran, dass Sam mich schon seit einigen Runden wie einen Brummkreisel rotieren ließ.
Er verlangsamte sein Tempo. „Geht es dir nicht gut?“
Ich sah ihn verwirrt an, denn seine Stimme drang wie durch einen Wattebausch zu mir und mein Herz vollführte seltsame Pirouetten in meinem Brustkorb. Mein Blickfeld verengte sich und in meinem Gehirn machte sich Schwärze breit. Himmel! Ich würde doch nicht hier, mitten auf der Tanzfläche, in Ohnmacht fallen?
„Ich gehe kurz an die frische Luft“, keuchte ich und stolperte durch die geöffnete Terrassentür in den Garten. Dort kramte ich in meiner Tasche nach den Notfalltropfen, die ich seit Pauls Geburt bei mir trug, und fühlte mich dabei wie eine Heroinabhängige. Denn meine Hände zitterten und meine Angst, die Medizin vergessen zu haben, überwältigte mich fast. Das drohende Ohnmachtsgefühl breitete sich aus. Ich würde umfallen, da war ich mir sicher, und mein Herz schlug immer härter gegen meine Rippenbögen. Zum Glück! Meine Finger stießen an ein kleines Glasfläschchen. Ich öffnete es hektisch und ließ mir einige Tropfen in den Mund rinnen. Dann presste ich die Zeigefinger rechts und links an meine Schläfen.
„Was machst du hier draußen?“ Die Stimme meines Vaters riss mich aus meiner Benommenheit. Ich hatte ihn nicht bemerkt, obwohl er nur wenige Meter von mir entfernt im Schatten eines Pfeilers stand.
„Mir ist es drinnen zu voll.“ Mein Herzschlag begann sich zu normalisieren, doch in meinem Kopf machten sich bohrende Schmerzen breit. „Und du? Bist du vor Milla geflüchtet?“
Mein Vater schüttelte den Kopf. Doch sein schuldbewusster Blick und das Handy, das noch halb aus seiner Hosentasche
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