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Zeit für Eisblumen

Zeit für Eisblumen

Titel: Zeit für Eisblumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Koppold
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ein winziges Quäntchen Wahrheit steckte.
    Da ich auf einen Besuch in der Maske verzichtete, hatte ich, bis das Kamerateam eintraf, zumindest meinen Sprechtext in ein Notizbuch gekritzelt. Auf dem Weg in den Rosengarten des Westparks, der unser neuer Drehort sein sollte, teilte ich Meike in groben Zügen das Konzept mit. Sie hatte einen Hut mit aufwendigem Rosendekor gefunden, bei dem ich mich weigerte, ihn aufzusetzen, da er mich an Miss Marple erinnerte, und einen beigefarbenen Gürtel mit einer Lederrose als Schnalle. Er war mindestens eine Nummer zu klein. Aber wenn ich ein wenig flacher atmete, würde es gehen. Nachdem ich mich in dem Kleinbus umgezogen hatte, zückte Meike ihren Schminkkoffer und begann mein Gesicht zu bearbeiten.

    Zwar dufteten die Rosen nicht mehr so intensiv wie noch einige Wochen zuvor und ihre Farben wirkten von der Sonne ausgeblichen, trotzdem hatte der Rosengarten auch Mitte September wenig von seinem Dornröschencharme eingebüßt. Ein leichter Wind fuhr mir durch die Haare und ließ mich für einen Moment vergessen, dass das Thermometer am Sender stolze 28 Grad angezeigt hatte. Gleich würde der Dreh beginnen, doch ich merkte, dass ich nicht richtig bei der Sache war. Der stressige Morgen saß mir in den Knochen, zu vieles musste erledigt werden, bevor ich Paul um halb sieben bei den Fernseh-Spatzen abholen durfte. Wenn ich mir auf dem Rückweg einen Salat kaufte, könnte ich in der Mittagspause in den Fitnessraum gehen. Am Nachmittag wollte ich das Material vom Dreh sichten und zusammen mit einem Cutter schneiden. Dann stand noch die tägliche Abschlusskonferenz auf dem Programm.
    Sch…! Plötzlich fiel es mir ein. Ich hatte vergessen, einen Schneideplatz zu buchen. Jetzt, um zwölf Uhr, würden alle Plätze besetzt sein. Mir wurde übel. Ich musste einen meiner Kollegen, der ein weniger aktuelles Thema bearbeitete, rauswerfen. Ich würde den Zeitplan von jemand anderem über den Haufen schmeißen, so wie es Monika bei mir getan hatte. Ach Mist! Auf einmal war ich müde und den ständigen Wettlauf gegen die Zeit unsagbar leid. Wofür machte ich das alles? Ich produzierte Nachrichten, die die Welt nicht brauchte, die stets aktuell sein mussten und doch am nächsten Tag in Vergessenheit gerieten. Nichts Nachhaltiges. Nichts Bleibendes. Ich konnte mich ja selbst kaum an einen meiner Beiträge erinnern. Aber Jammern half nichts! Ich straffte die Schultern. Dies war mein Job. Ich machte ihn immer noch gut. Und früher hatte es mich auch nicht interessiert, dass ich damit keinen Pulitzerpreis gewinnen konnte. Aber seit der Geburt von Paul war ich dünnhäutiger geworden, verlor viel zu schnell die Nerven. Bisher hatte ich schließlich noch nie einen Dreh vergeigt.
    In den Untiefen meiner Handtasche kramte ich mein Handy hervor, um Susann anzurufen. Von ihr wusste ich, dass sie einen Bericht über die besten Partyadressen der Stadt schneiden wollte, einen Lückenfüller, der heute genauso gut wie Anfang nächsten Jahres gesendet werden konnte. Doch da gab Meike mir das Zeichen. Sie puderte noch einmal mein Gesicht ab, bevor Frank die Kamera auf mich richtete, und Sven, der Tonassistent, das Mikrofon in Position brachte. Ich versuchte alle Gedanken an meine Nachlässigkeit auszublenden, mich nur auf den Dreh zu konzentrieren, und anfangs gelang es auch.
    „Rosen, Rosen, überall Rosen. So wie hier im hinteren Bereich des Münchner Westparks, in dem ich mich gerade befinde, Rosen allgegenwärtig sind, werden diese Blumen in der kommenden Saison modische Akzente setzen“, zwitscherte ich und ließ mich darüber aus, dass es auf den Laufstegen der Welt von Rosentaschen, Rosenringen und Rosendrucken auf Shirts, Pullovern und sogar Hosen nur so wimmelte. „Die Stars haben es bereits im Sommer vorgemacht, zum Beispiel Lady Gaga, die zu einem grünen Lederkleid eine türkisfarbene Tasche in Form einer Rose trägt.“ So ging es weiter. Ich kommentierte den rosigen Haarreif von Katie Holmes’ Tochter Suri ebenso wie den Rosenrock von Sienna Miller und die Rosentunika von Nicole Richie und war gerade dabei, das scheußliche rosenbestickte Minikleid eines bekannten Dessousmodels zu zerreißen, als ich auf einmal Schwierigkeiten bekam, zu atmen. Schon im Auto vorhin war mir unnatürlich heiß gewesen. Jetzt, unter dem rosenbedeckten Dach des Pavillons, schien die Luft endgültig zum Schneiden dick. Ich stockte. Lag es an dem zu engen Gürtel? Ich musste ihn ausziehen. Meike wies Frank an, die

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