Zeit für Plan B
in Vermont zu haben. Da Sarah als Architektin mehr verdiente als ich, stellte sich auch nicht die Frage nach dem Unterhalt. Es war im Grunde eher eine Trennung als eine Scheidung, nur dass es hier noch Anwaltsgebühren gab.
Aus irgendeinem Grund dachte ich, es würde irgendeine Art Abschlusszeremonie geben, wenn wir alles hinter uns hatten, eine symbolische Freisprechung von den Treueschwüren, die wir uns einst gegenseitig gegeben hatten; die Verbrennung von Pergament, das Trinken von Opferwein. Irgendetwas. Aber als wir die letzte Seite unterzeichnet hatten, verschwanden die Anwälte, um sich die Unterlagen fotokopieren zu lassen, und danach nahmen wir nur unsere Kopien und fuhren zusammen im Aufzug nach unten. So sollte sich eine Scheidung eigentlich nicht anfühlen. Es war zu zivilisiert. Es kam mir vor wie nichts als eines der vielen anderen Dinge, die wir als verheiratetes Paar zusammen getan hatten. Genau genommen fühlte ich mich noch nie so verheiratet wie in dem Augenblick, in dem ich mich scheiden ließ. Ich verspürte ein entsetzliches Gefühl von Leere, eine Panik, die sich allmählich in meiner Magengegend breit machte, und auf einmal wollte ich zurück nach oben rennen, die Papiere zerreißen und um eine zweite Chance bitten.
»Wie geht’s Jack?«, fragte Sarah.
»Jack?«
»Ich hab’s gestern in den Nachrichten gesehen.«
»Ach so. Na, dann weißt du genauso viel wie ich«, sagte ich.
Sie hatte sich nie um Jack gekümmert oder um sonst einen meinerFreunde, um genau zu sein. Sie fragte nur deswegen, weil es sich eben gehörte. Sarah achtete immer sehr auf das, was sich gehörte. Sie war einer von diesen Menschen, die bei einem chinesischen Essen auf Stäbchen beharren und behaupten, mit normalem Besteck würde es einfach nicht richtig schmecken. Sie betonte hart näckig den französischen Akzent, wenn sie Wörter wie
Croissant
oder
Les Misérables
oder
Gérard Depardieu
aussprach, und sie studierte jeden Tag detailliert die Kommentarseite der Zeitung, überzeugt, dass es jederzeit für einen Überraschungstest wichtig sein könnte. Die Erinnerung an all das beschwichtigte mich ein wenig.
Es war diese fast schon neurotische Berechnung, die mich an Sarah anfangs angezogen hatte. Sie schien immer alles bis ins letzte Detail geplant zu haben, war sich so absolut sicher, welche Richtung sie einschlagen wollte. Und als sie beschloss, dass ich derjenige war, mit dem sie den Rest ihres Lebens verbringen wollte, wusste ich eben, dass es etwas war, was sie gründlich durchdacht hatte, und dass sie, anders als Lindsey, ihre Entscheidung niemals neu überdenken würde.
Lindsey hatte das Leben als Abenteuer mit offenem Ausgang betrachtet, in dem alles möglich war. Ich liebte an ihr, wie sie das Unbekannte an sich heranließ, wie sie sich jeder neuen Erfahrung öffnete. Als ich mit ihr zusammen war, hatte sie auch mich geöffnet, hatte meine Leidenschaft entfacht und all meine Gefühle verstärkt. Was toll war, bis sie sich von mir trennte und all meine verstärkten Gefühle mit dem Schmerz zurückließ, sie verloren zu haben.
Sarahs Einstellung war, dass das Leben ein Lauf war, den man genau planen musste, bei dem man Geschwindigkeit und Richtung vorausberechnen musste, um letzten Endes ein vorgegebenes Ziel zu erreichen. Es war für sie wie ein Buch, bei dem sie schon einmal einen heimlichen Blick auf die letzte Seite werfen und alles entsprechend planen konnte. Sie wusste, wohin sie steuerte und was genau sie tun musste, um dorthin zu kommen. Nach allem, wasich mit Lindsey durchgemacht hatte, war Sarahs wohlüberlegte Gewissheit ein willkommenes Versprechen von Stabilität, und wenn das hieß, dafür eine gewisse Leidenschaft in der Gesamtanlage der Dinge zu opfern, dann war mir das durchaus recht. Leidenschaft war ohnehin gefährlich und der Stabilität nicht förderlich. Und so entschied ich mich für Sarah, ein gut gemeinter, typischer Versuch, sich über eine andere hinwegzutrösten. All dessen war ich mir damals natürlich nicht bewusst. Vielmehr gelang es mir sogar, mich zu überzeugen, dass Sarah Lindsey sehr ähnlich war, verliebt und abenteuerlustig, aber mit einer stärkeren Neigung, sich wirklich zu binden. Ich erfand Sarah in Gedanken neu, und es war wie eines dieser Poster mit versteckten optischen Illusionen, die man nur aus dem Augenwinkel erkennen kann. Sobald man es von vorn ansah, war die Illusion verschwunden.
Es dauerte nicht sehr lange, bis ich anfing, keine Luft mehr zu bekommen.
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