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Zeit für Plan B

Zeit für Plan B

Titel: Zeit für Plan B Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Tropper
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»Ich habe eine Peanuts-Geschichte.«
    »Erzähl sie mir.«
    »Okay«, sagte sie und holte einmal tief Luft. »Hier ist sie. Also, eigentlich kann ich mich gar nicht an sie erinnern, da ich noch sehr klein war, als es passierte, aber meine Großmutter hat es mir so oft erzählt, dass es mir vorkommt, als würde ich mich wirklich erinnern.«
    »Wie in
Total Recall

    »Genau. Jedenfalls, es ist eher eine Episode als eine Geschichte. Als ich dreizehn Monate alt war, habe ich einmal eine Erdnuss auf dem Wohnzimmerboden gefunden und versucht, sie zu essen. Sie ist mir im Hals stecken geblieben, und ich habe angefangen zu würgen. Meine Mutter hat mich gehört und mir die Finger in den Hals gesteckt, um die Erdnuss herauszuholen, aber sie steckte zu tief drin. Bis die Sanitäter kamen, hatte ich schon aufgehört zu atmen, und mein Gesicht war so blau wie eine Weintraube. Sie haben mich im Krankenwagen wiederbelebt, die Erdnuss herausgeholt, das alles. Als wir im Krankenhaus ankamen, ging’s mir schon wieder gut. Aber meine Mutter war völlig am Ende, und irgendein Idiot von einem Arzt hat sie auch noch zusammengestaucht und ihr gesagt, sie sei eine verantwortungslose Mutter, ich hätte sterben können, und das wäre dann ihre Schuld gewesen.«
    Die Typen gegenüber kamen auf einmal durch den Park gerannt und schossen an unserer Bank vorbei, während sie sich gegenseitig mit Schneebällen bewarfen. Mir wurde bewusst, dass es für sie vermutlich einfach so aussah, als seien Lindsey und ich zusammen, und ich hatte die vage, halb geformte Idee, wie die Wahrnehmung, wenn auch noch so undifferenziert, vielleicht der erste Baustein einer größeren Wirklichkeit sein könnte. Die Vorstellung nahm keine feste Form an, aber ich mochte dieses auf seltsame Weise besitzergreifendeGefühl, von Fremden mit Lindsey zusammen beobachtet zu werden.
    »Jedenfalls«, fuhr sie fort, »gegen Ende meiner Grundschulzeit und auf der Highschool hatte ich dann ein kleines Verhaltensproblem. Du weißt schon, war frech zu Lehrern, bin die ganze Nacht weggeblieben, hatte jede Menge Jungs. Der ganz normale Blödsinn, den man als Jugendlicher eben macht, nehme ich an. Aber meine Großmutter führte es jedes Mal, wenn ich Ärger bekam, auf den Tag zurück, an dem ich diese Erdnuss verschluckt hatte. Sie sagte, meine Mutter sei von dem Tag an völlig verändert gewesen. Sie distanzierte sich immer mehr von mir, als hätte sie Angst davor oder nicht das Recht dazu, mir echte Liebe zu zeigen, da sie mich schließlich fast getötet hätte. Und ich weiß, dass meine Mutter mich nie angeschrien oder bestraft hat. Meine Freunde glaubten, sie sei so cool, weißt du?« Ich nickte. »Ich glaube, in dieser Nacht im Krankenhaus kam sie zu dem Schluss, sie sei nicht fähig zu ihrer Mutterrolle. Und meine Reaktion war dieser jämmerliche Versuch, diese Distanz zu durchbrechen, sie zu zwingen, einzuschreiten und mich zu bestrafen. Wirklich meine Mom zu sein, weißt du?« Sie sah zu mir auf und dann rasch auf ihre Stiefel hinunter, verlegen. »Manchmal frage ich mich, wie wohl alles gekommen wäre, wenn diese Sache mit der Erdnuss nie passiert wäre.« Sie lächelte mir von der Seite kurz zu und zog die Augenbrauen hoch. »Jedenfalls, das ist meine Peanuts-Geschichte.«
    Ich lehnte mich zurück und atmete einmal aus. »Wow«, sagte ich.
    Sie lachte kurz auf. »Mir ist eben aufgefallen, dass ich diese Geschichte noch nie zuvor erzählt habe.«
    Diesmal war mein Wow noch um einiges lauter, aber ich dachte es nur. »Und warum jetzt?«
    »Ich weiß nicht«, sagte sie und fing eine Schneeflocke auf ihrem Fausthandschuh auf. »Der Schnee. Was auch immer. Ich dachte einfach, du würdest es verstehen.«
    »Danke.«
    »Bedank dich nicht, erzähl mir deine.«
    »Was?«
    »Erzähl mir deine Peanuts-Geschichte. Jeder hat eine, weißt du? Irgendein scheinbar harmloses Ereignis, das rückblickend alles verändert hat.«
    »Ich weiß nicht«, sagte ich. »Ich glaube nicht, dass ich eine habe. Vielleicht ist das mein Problem.«
    »Ach komm«, sagte sie und knuffte mich freundschaftlich in die Schulter. »Jeder hat eine.«
    Ich betrachtete sie durch den fallenden Schnee hindurch und beschloss, mein Glück zu versuchen. »Ich denke, das hier, genau jetzt, das könnte vielleicht meine Peanuts-Geschichte werden.«
    Sie wandte den Blick nicht ab, verzog nicht das Gesicht. Sie starrte mich ernsthaft an, suchte nach irgendwelchen Anzeichen von Sarkasmus, und dann ging ein warmes,

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