Zeitbombe Internet
hatte, aber eine Menge technisches Talent. Monatelang gelang es ihm, unerkannt von seinem Zimmer aus Spam-E-Mails im Cyberspace zu verbreiten. Und wenn er nicht gerade nach Motorteilen für seine Zeitmaschine suchte, verdiente er sich das Geld dafür. »Bob« strich eine Menge Geld mit Werbesendungen der gewöhnlichen Art ein, zum Beispiel mit Inseraten für zwielichtige Kreditangebote und Pornos.
So eroberten anonym versandte Massen-E-Mails das Internet, und die geniale Technik aus den Labors der Militärs und Universitäten hatte dem nichts entgegenzusetzen. Stattdessen stieà eine neue Branche in diese Lücke: Die Anti-Spam-Industrie. Das waren Unternehmen, die die Unterlassungen der Interneterfinder wiedergutmachen wollten, indem sie technische Waffen gegen Spam erfanden. Bis heute werden solche Dienste und Programme von E-Mail-Anbietern und einer Handvoll unabhängiger Dienstleistungsfirmen verkauft. Sie funktionieren so: Der Computer liest erstmal jede E-Mail, die im Eingangskorb landet, und sortiert die unerwünschten Sendungen aus. Wenn der Absender dem Empfänger unbekannt ist, wenn viele Leute gerade die gleiche E-Mail auf einmal zugestellt bekommen und wenn verdächtige Wörter wie »Viagra« oder »Monsterbilliger Kredit« darin stehen â dann muss es ja eine Werbesendung sein.
Der Microsoft-Gründer Bill Gates (»Ich bin die am meisten gespammte Person der Welt«) war zwischenzeitlich so sehr von den Anti-Spam-Techniken überzeugt, dass er beim Weltwirtschaftsforum 2004 in Davos erklärte: Binnen zweier Jahre werde es keine Spam-Post mehr geben. Es ist nicht ganz klar, inwiefern ihn damals Wunschdenken zu seiner mutigen Aussage getrieben hat. Die Flut von Spam drohte damals wie heute, die Kommunikationskanäle im Netz zu verstopfen. Sie machte damals wie heute die Produktivitätsgewinne bei der Arbeit mit E-Mails zunichte, sie unterwanderte auch damals schon mit Betrügereien das Vertrauen der Verbraucher. Sie blockierte damals wie heute legitime Werbekanäle.
»Wir haben den Kampf verloren«, sagt Guido Schryen, ein Spam-Experte an der Uni Kiel. »85 bis 90 Prozent aller weltweit verschickten E-Mails sind Spam. Daran hat sich nichts geändert. Und ich sehe auch keine praktisch umsetzbaren Mechanismen, die das Bild ändern könnten.« Die Eigenschaften und Protokolle, mit der der »Gott des Internets«, Jon Postel, die elektronische Post ausgestattet hatte, arbeitete mit aller Macht für die Spammer. Sie konnten experimentieren. Es kostete nichts. Sie konnten »Viagra« und »Monsterbilliger
Kredit« mit so vielen Rechtschreibfehlern schreiben, dass die automatischen Filterprogramme nichts merkten. Sie konnten ihre E-Mails von einer unerschöpflichen Zahl erfundener Internetadressen versenden. Sie konnten immer mehr Spam verschicken und sicher sein, dass ein Teil davon bei arglosen Empfängern landen würde. Nie würden die Spamfilter wirklich alles finden, denn schlieÃlich muss auch die legitime E-Mail noch ihre Empfänger erreichen: die elektronisch versandte Telefonrechnung. Das bei der Hausbank angeforderte Angebot für eine Hausratversicherung. Die Sonderangebote des örtlichen Kaufhauses. Und ja: Es gibt wirklich Menschen, die ganz legitim im Internet Viagra kaufen und monsterbillige Kredite in Anspruch nehmen wollen.
Eine absurde Situation ist entstanden. GroÃe Unternehmen lassen sich heute von spezialisierten Marketingfirmen in Fragen der sogenannten »deliverability« beraten â in der Kunst, ihre E-Mails beim Empfänger ankommen zu lassen, ohne dass ein Spamfilter sie schluckt. Die Tipps dieser Berater sind ungefähr die gleichen, die auch die Dunkelmänner untereinander diskutieren. Und auch sie beschäftigen Dienstleister, die ihre Künste auf Webseiten offerieren und Tipps zur »deliverability« austauschen. Die Tricks sind ungefähr die gleichen. Wörter wie »Geld«, »Rabatt« und »$$$$$« vermeiden! Keine GroÃschrift! Keine Ausrufezeichen! Privatkunden am besten abends anmailen! Nicht zu viele Bilder! Möglichst den Empfänger persönlich mit Namen anschreiben!
Guido Schryen von der Uni Kiel hat noch eine nüchterne Sicht auf die Dinge: »Man muss sich klar machen, dass beide Seiten damit Geld verdienen«, sagt der IT-Experte, der sich seit Jahren mit dem Thema unerwünschter Werbesendungen befasst. Die Spammer â
Weitere Kostenlose Bücher