Zeitbombe Internet
und die Anti-Spammer und die Anti-Anti-Spammer. »Für sie alle ist es eine Geschäftsgrundlage, dass es überhaupt erstmal Spam gibt«, sagt Schryen. Ein ökonomischer Anreiz, nichts Grundlegendes dagegen zu unternehmen? Oder, wie manche Kommentatoren es behaupten, ein Beweis dafür, dass manche Anti-Spam-Firmen mit den
Spammern unter einer Decke stecken â oder dass man sich zumindest wohlwollend gegenseitig toleriert?
Es gibt noch eine andere Front gegen die Werbemüll-Flut im Netz. Schon in den frühesten Tagen der Spam-E-Mails entstand eine spontane Gegenbewegung im Internet: Sie nannten sich »Cyber Vigilantes«. Selbsternannte Aufpasser im Netz wollten sie sein, eine Art digitale Bürgerwehr. Sie blieben anonym wie die Spammer selbst, zumeist jedenfalls, trafen sich auf Internetseiten wie Nanae.org und tauschten dort Informationen über neueste Betrugsfälle und ihre Bekämpfung aus. Aus ihren Reihen sind Organisationen wie »Spamhaus« erwachsen, das lange von einem exzentrischen Londoner Hausbootbewohner namens Steve Linford verwaltet wurde. Spamhaus führt bis heute eine wachsende Liste von Internetadressen und Internetfirmen, von denen aus Spams versandt werden â und wer es will, kann solche Absender fortan einfach blockieren. Spamhaus legte auÃerdem eine Liste der penetrantesten Spammer der Welt an, zum Teil mit Fotos.
Frühe Soziologen des Internet reagierten auf solche Entwicklungen ganz aufgeregt: Das Internet werde sich selber regulieren! Es werde zu einer Utopiegesellschaft voller verantwortungsbewusster Bürger heranwachsen, die keine sozialschädlichen Spammer und Betrüger in ihren Reihen dulden!
Doch so bezeichnend wie die Entstehung der Cyber Vigilantes war ihr Versagen bei der Bekämpfung von Spam. Die Kriege der Cyber-Vigilanten gegen die Spammer wurden schmutzig. Wohlmeinende Hacker gesellten sich dazu, ermittelten die wahre Identität mancher Spammer, und je nach Temperament zeigten sie sie an oder nahmen ihre Computer unter elektronischen Beschuss mit Schadsoftware oder gewaltigen Massen von E-Mails. Beide Seiten beschimpften sich aufs Gröbste und â im Schatten der Anonymität â unter der Gürtellinie. Die Grenzen zwischen Gut und Böse sind ein wenig verwischt.
Vor allem aber ist es den Dunkelmännern hinter Spam vor einigen Jahren gelungen, den »Vigilanten« ihre wichtigste Waffe aus den Händen zu nehmen: Ihre penibel gepflegten
Listen verdächtiger GroÃrechner im Internet, die Internetfirmen und Privatnutzer dann bloà noch blockieren müssen, sind nutzlos geworden. Seit ungefähr 2003 haben kriminelle Spammer eine neue Technik entdeckt: Sie können Privatcomputer unter ihre Kontrolle bringen. Sie können heimlich eine Schadsoftware auf Rechnern installieren, die die Computer in sogenannte »Zombies« verwandelt. Das war ein gewaltiger technischer Satz nach vorne und zugleich ein wirklich schweres Verbrechen. Manche Spammer kontrollieren jetzt Armeen privater Rechner, die auf Befehle von irgendwo drauÃen im Internet lauschen und bereit sind, blindlings zu gehorchen.
Zum Beispiel auf den Befehl, mal schnell ein paar zehntausend Spam-E-Mails zu verschicken.
Ãberlauf im Honigtopf: Ein Mannheimer Professor gegen das globale Verbrechen
Im Büro von Dr.-Ing. Felix Freiling sitzt man ziemlich eng. Das hat damit zu tun, dass überall Papier und Bücher herumliegen, vor allen Dingen aber damit, dass der Informatikprofessor sein sportliches Fahrrad bis ins Obergeschoss geschleppt und neben dem Besprechungstisch an die Wand gelehnt hat. Da nimmt es jetzt ziemlich viel Platz ein, aber Freiling lässt sich nicht gerne beklauen. Er ist ein vorsichtiger Typ.
Der Inhaber des Lehrstuhls Praktische Informatik I an der Universität Mannheim ist stolz darauf, dass man nirgendwo im Internet seine private Anschrift findet. Nicht einmal sein Foto wollte er ins Netz stellen, eigentlich, aber dann bestand die Uni doch darauf. Freiling hat dann gleich neben sein elektronisches Abbild noch Aufnahmen von Helmut Kohl, Tom Selleck und Will Smith gestellt, denn »das verwirrt die Bildersuchmaschinen«, freut sich der Professor. Also findet man sein Foto jetzt nicht ganz so leicht auf Google. »Seit ich mit angewandter Computersicherheit arbeite, versuche ich dauernd, meine Spuren zu verwischen«, sagt Freiling und setzt ein jungenhaftes Grinsen auf. Bei ihm weià man nicht
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