Zeitbombe Internet
auch eine Erläuterung â schriftlich! â warum ferngesteuerte Haushaltsgeräte nicht gefährlich sind. »Zunächst ist davon auszugehen, dass ein WLAN-Netz geschützt ist, was allein schon für Telekommunikations-Anwendungen im ureigenen Interesse des Kunden liegt.« Beim Hackertreff in Vegas würden sie sich über solche Sätze gleich kaputtlachen: Für das Eindringen in ein verschlüsseltes WLAN-Netz braucht ein mittelmäÃig begabter Computerfreak zwischen wenigen Sekunden und einigen Minuten. Es gibt dafür fertige Programme, die man nur starten muss. »Die technisch komplexe Integration von Miele@Home in ein Bussystem obliegt spezialisierten Systemintegratoren, die den erforderlichen Schutz sicherstellen können«, beantwortet Miele die Anfrage in schwer verständlichem
Kauderwelsch weiter. Soll das heiÃen, dass andere Firmen schuld sind, wenn etwas passiert?
Es gibt aber auch ein ernst zu nehmendes Argument in der langen Antwort der Firma Miele: Bei keinem dieser Geräte sei im Augenblick vorgesehen, dass man Funktionen aktivieren kann, »die den Kunden gefährden oder gröÃeren wirtschaftlichen Schaden anrichten«. Also kann man die Kühltruhe nicht per Funk abstellen, um auf diese Weise heimlich Salmonellen zu züchten, bis die Nachbarsfamilie wieder aus dem Urlaub zurückkehrt. Man kann auch nicht das Kochfeld anstellen und damit einen Brand auslösen.
Aber wie lange wird das noch so bleiben? Das Problem ist hier ein Phänomen, das Informatiker schon lange kennen, und das sie »Mission Creep« genannt haben. Systeme, die anfangs nur für einen kleinen Kreis von Aufgaben gedacht waren, neigen im Lauf der Zeit zu immer gröÃerer Komplexität. Sie bekommen zusätzliche Funktionen. Sie werden in die Zusammenhänge anderer, gröÃerer Systeme eingebunden. Sie werden vielfältiger benutzt als ursprünglich gedacht.
Man kennt das von den unterschiedlichsten Einsatzorten für Computer. Autoelektronik ist so ein Klassiker: Anfangs konnte man damit die Scheiben herunterlassen, den Blinker anwerfen und einen energiesparenden Motor betreiben â aber über die Jahre ist Autoelektronik immer komplexer geworden. Sie nimmt mehr und mehr Arbeit beim Fahren ab, und das geschieht über Computer. Neuerdings werden einige dieser Computer mit drahtlosen Antennen ausgestattet und sogar ans Internet angeschlossen. Die Firma General Motors vertreibt ein System namens OnStar, das die Position des Fahrzeugs und allerlei diagnostische Informationen über das Auto direkt an den Hersteller sendet. Das ist sehr praktisch im Fall von Crashs oder Diebstählen. Längst arbeiten Hersteller wie VW und Ford mit Firmen wie Google und Microsoft zusammen, um dem Autofahrer eine nächste Welle neuartiger, netzverbundener Produkte und Dienste auf dem Armaturenbrett anzubieten. Und IBM hat Patentschutz für ein System beantragt, das Autos laufend ortet und das selbsttätig
auf die Bremse tritt, wenn jemand über eine rote Ampel fahren will.
Eine Studie, die an der Universität Washington und der Universität von Kalifornien in San Diego entstand, kam aber â am Beispiel der Systeme eines ungenannten Herstellers â zu dem Ergebnis: »Wir demonstrieren die Möglichkeit, ein weites Spektrum von Autofunktionen zu steuern und den Fahrer dabei komplett zu ignorieren â zum Beispiel ein Ausschalten der Bremsen, selektives Bremsen mit einzelnen Rädern, den Motor anhalten und so weiter.« Das ist ein Beispiel für Mission Creep: Wie sollten die ersten Entwickler der Autoelektronik auch ahnen, dass Autos eines Tages ans Netz angeschlossen würden?
Die Wertpapier- und Rohstoffbörsen sind auch so ein Beispiel. Dort läuft der Vormarsch der Computer schon seit Jahren. Richtige Händler, die mit den Armen fuchteln und auf Papierfetzen ihre Käufe und Verkäufe notieren, sind so etwas wie Dinosaurier am internationalen Finanzmarkt. Doch der jüngste Schrei an den amerikanischen Börsen ist die Spekulation mit Wertpapieren, die komplett vollautomatisch über hochintelligente, superschnelle, eng vernetzte Computer ausgeführt wird. Computer spekulieren gegen Computer.
Als ein Crash am 6. Mai 2010 den amerikanischen Dow-Jones-Aktienindex an einem Tag um fast tausend Punkte abstürzen lieÃ, hatte niemand so schnell eine Erklärung parat. Hatte da ein einzelner Mitarbeiter â wie es
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