Zeitbombe Internet
eröffnet. Die Luftwaffe unterhält ein »Cyber Control System«, das die Computernetze des gesamten amerikanischen Militärapparats sichern soll â also die Rechner und Netzwerke von schätzungsweise 11 Millionen Internetnutzern (das Pentagon ist nicht nur der Erfinder, es gilt auch als der gröÃte Internetnutzer
des Planeten). Die Armee hat 21.000 Soldaten für ihre eigene Operation Army Forces Cyber Command abgestellt, die Navy mehr als 40.000 Soldaten für ihr eigenes Kommando (»die 10. Flotte«). Am Naval War College auf Rhode Island, wo amerikanische Militärs regelmäÃig Kriegsszenarien der Zukunft durchspielen, haben sie im vergangenen Herbst (2010) einen Workshop mit dem Titel »Von Cybersicherheit bis Cyberkrieg« abgehalten. In Washington veranstalten Experten der CIA und Entsandte von Rüstungs- und Sicherheitsfirmen jährlich die »Cyber ShockWave«-Simulation: Eine simulierte Hackerattacke auf die Vereinigten Staaten, eine Art Feuerschutzprobe im Cyberspace, die Verletzlichkeiten aufzeigen und vor allen Dingen eine Menge Wind machen soll.
Und das sind nur die USA. Nach Informationen der CIA sind gut zwanzig Nationen auf der Welt dabei, ernst zu nehmende Cyberkriegs-Operationen aufzubauen, und zwar für den Angriff wie für die Verteidigung. Die kalifornische Sicherheitsfirma McAfee spricht sogar von hundertzwanzig Ländern. Auch der britische technische Geheimdienst GCHQ unterhält nach Informationen des Economist inzwischen ein »Operationszentrum« für den Cyberkrieg. Als besonders fortgeschritten gelten Russland, Israel â und Amerikas Angstgegner China.
In chinesischen Militärjournalen ist die Rede davon, dass ein »Feindesland einen vernichtenden Schlag durch das Internet« erhalten kann, und dass »eine überlegene Streitkraft, die ihre Informationsdominanz verliert, geschlagen werden kann«. »Informationsdominanz« â das ist ein Wort, das sowohl der amerikanische Verteidigungsminister Robert Gates wie auch der Chefstratege der chinesischen Militärakademie General Wang Pufeng gerne in den Mund nehmen. In Europa veranstaltete die European Network and Information Security Agency (ENISA) im vergangenen November erstmals Attacken auf Internetanschlüsse und Server groÃer europäischer Organisationen, um zu prüfen, wie sicher sie sind. In Estland wurde im Mai 2008 die »Cooperative Cyber Defence Center of Excellence« eröffnet, was in der Kurzform CCDCOE heiÃt
und »den NATO-Staaten helfen soll, mit den stetig wachsenden Cyberbedrohungen klarzukommen«. Ein Austauschforum für NATO-Militärs.
Eine wachsende Zahl von Ländern im reichen Westen wie in Schwellenländern erklärt den Schutz vor Cyberangriffen zu einem Teil der nationalen Sicherheits- und Militärstrategien. Im Oktober 2010 berichtete die Süddeutsche Zeitung über ein Dokument von NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen, in dem überlegt wurde, ob Cyberattacken auf Mitgliedsstaaten den NATO-Bündnisfall auslösen könnten.
Auch Deutschland rüstet jetzt auf â ein bisschen. Zumindest schult die Bundeswehr, streng abgeschottet von der Ãffentlichkeit in Rheinbach bei Bonn, um die hundert Mann in den neuesten Methoden. Sie sollen in fremde Netzwerke eindringen, diese auskundschaften und manipulieren können. Offiziell nimmt das Verteidigungsministerium »zu Fragen der Offensivverteidigung« keine Stellung, aber zur Passivverteidigung schon, und Bundeswehrvertreter wie der Brigadegeneral Karl H. Schreiner erklären neuerdings der Ãffentlichkeit: »Der Cyberspace ist neben den klassischen Operationsräumen Land, Luft, See und Weltraum zum fünften Operationsraum geworden.«
So rüstet die Welt für digitale Kriege â und es gibt nur noch ganz wenige Stimmen, die das alles für eine mächtig übertriebene Modedebatte halten. Zu ihnen gehört aber ausgerechnet einer der gröÃten Cyberkriegsexperten der Welt: Jeffrey Carr, ein Sicherheitsberater aus Washington, der im Jahr 2010 sein Buch Cyber Warfare veröffentlichte. Carr hat inzwischen erklärt, dass er den Titel seines Buches überhaupt nicht möge. Zu reiÃerisch für seinen Geschmack. »Ich mag keinen Hype«, sagt Carr, »aber Hype verkauft sich gut.« Auch der viel zitierte Washingtoner Sicherheitsexperte Bruce Schneier wiegelt in Fragen des Cyberkrieges eher ab. Er glaubt
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