Zeitbombe Internet
mussten eigentlich auf jedem Radarsystem wie Silvesterraketen aufleuchten. Die Syrer besaÃen auÃerdem nicht irgendein Radarsystem, sondern eines der modernsten der Welt. Dicht bestückt mit modernen Sensoren und gesteuert von leistungsfähiger Computertechnik. Gefertigt von den Russen. Der Angriff hätte auffallen müssen, tat es aber nicht.
Hat ein Cyberangriff die Radaranlagen ausgeschaltet? Richtig geklärt oder gar offiziell bestätigt ist das bis heute nicht. Doch ein Militärexperte nach dem nächsten hat seither erklärt, dass das die einzige plausible Erklärung wäre. Zumal die syrischen Systeme nach dem Angriff gleich wieder funktioniert haben sollen.
Am 8. August 2008 kamen dann die Russen. Sie marschierten nach Georgien ein, während die ganze Welt auf die Olympischen Spiele in Peking schaute, und wiesen die aufsässige Provinz mit grober Waffengewalt in ihre Schranken. So stand es in den Zeitungen, und so wird es wohl in den Geschichtsbüchern stehen.
Interessanterweise gibt es aber in der Internetszene einige Leute, die behaupten: Die Invasion begann schon viel früher. Sie datieren den Kriegsbeginn auf den 20. Juli und verorten den Ausbruch der Kampfhandlungen â im Cyberspace. Sicherheitsfirmen wie Arbor Networks in Lexington und selbsternannte Internetwächter wie die Gruppe Shadowserver vermerkten, dass an diesem Tag eine unerklärliche Flut von Datenpaketen auf die Webseiten georgischer Regierungsabteilungen einprasselte. Da stand überall das Gleiche drin: »win+love+in+Rusia«, inklusive des Rechtschreibfehlers. Ganz offensichtlich ging es darum, die georgischen Regierungscomputer mit der Datenflut zu überlasten und auszuschalten. Die Webseite des georgischen Präsidenten Mikheil Saakashvili zum Beispiel war 24 Stunden lang nicht zu erreichen.
Und das war nur die Generalprobe. Als die Invasion der Soldaten anlief, wurde der georgische Cyberspace noch viel aggressiver mit Datenmüll beworfen. Die Spekulationen blühten: Steckten russische Cybertruppen dahinter? Das glaubten Beobachter im Westen. Oder schlugen da patriotisch gesonnene russische Hacker auf eigene Initiative zu? So erklärten es die Russen. Aber ganz klar war die Unterscheidung ohnehin nicht. Beobachter stieÃen bald auf eine kurz zuvor eingerichtete Webseite namens StopGeorgia.ru , auf der am Tag der Angriffe die knappe Nachricht zu lesen war: »Liste der ersten Angriffsziele ist hier veröffentlicht. Alle, die helfen können â sind hiermit rekrutiert.«
Jeffrey Carr, ein Cyberkriegsexperte und Regierungsberater bei der Washingtoner Firma GreyLogic, hatte damals einen Déjà -vu-Effekt. Er wurde damals »sehr neugierig auf das Muster, das sich hier abzeichnete. Es hatte seit 2002 mindestens
vier weitere Beispiele von Cyberattacken gegeben, die zeitlich mit Aktionen des russischen Militärs koordiniert waren«.
Zum Beispiel, als 2007 fast die ganze Infrastruktur des kleinen russischen Nachbarn Estland unter den bis dahin gröÃten Cyberangriff der Geschichte geriet. Er legte Banken lahm, Telefone, die Dienste der Regierung. Estland ist ein sehr kleiner Nachbar von Russland, aber immer schon dafür bekannt gewesen, dass Regierung und Wirtschaft auf hochmoderne Internetlösungen Wert legten. War das also reiner Zufall? Carr glaubt das nicht. Interessanterweise berichtete die Prawda über die ganze Angelegenheit in einem Artikel mit dem Titel »Russland gegen Georgien: Krieg im Netz â Tag 1«. Der Autor, ein gewisser Maxim Zharow, hat auch ein Buch mit dem Titel Chronik des Informationskrieges verfasst.
»Die Ziele in einem Kriegsfall sind zweierlei«, sagt Richard A. Clarke, zieht hörbar die Luft ein, atmet wieder aus und richtet sich ganz offensichtlich auf einen etwas längeren Vortrag ein. Es ist ein Samstagvormittag im Winter des Jahres 2010, aber der ehemalige Top-Sicherheitsberater der Präsidenten Bill Clinton und George W. Bush nimmt sich im Augenblick keine Wochenenden frei. Er gibt Telefoninterviews. Er ist auf einer Mission.
Richard A. Clarke ist der Mann, der George W. Bush vor Osama Bin Laden und seinen Anschlagplänen warnte und damit kein Gehör fand â damals. Heute zieht Clarke mit einer neuen aufrüttelnden Prognose um die Welt: Er glaubt, dass ein katastrophaler Zusammenbruch der weltweiten Computersysteme binnen fünfzehn Minuten möglich sei. Die Flugsicherung könne
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