Zeitbombe Internet
Dragon erhalten hat. Da passieren eigenartige Dinge wie am 8. April 2010: Aus einem Bericht für den amerikanischen Kongress geht hervor, dass an jenem Tag offenbar für etwa achtzehn Minuten 15 Prozent des weltweiten Internetverkehrs über die Server eines chinesischen Telekommunikationskonzerns geleitet wurden. Was war da los? War es ein technischer Defekt, ein Unfall? Testete China da eine neue Cyberwaffe? Ging es darum, bestimmte E-Mails amerikanischer Konzerne oder Militärs abzufangen? Antworten auf diese Frage hatte auch die Kommission nicht. Aber ihre Sprecherin Carolyn Bartholomew merkte vage an, dass chinesische Cyberattacken »heutzutage raffinierter geworden sind als die Techniken, die in der Vergangenheit benutzt wurden«.
Erst meldete sich der stellvertretende AuÃenminister Kurt Campbell. »Präsident Obama schätzt die Sicherheit im Cyberspace als vordringliches nationales Interesse ein«, erklärte er. Dann sandte Washington eine formelle Protestnote nach Peking, und Hillary Clinton hielt eine alarmierende Rede über Internetsicherheit. »Unsere Fähigkeit, digitale Bankgeschäfte und Onlinehandel zu betreiben, geistiges Eigentum im Wert von Abermilliarden Dollar zu schützen, das alles steht auf dem Spiel, wenn wir uns nicht auf die Sicherheit unserer Informationsnetze verlassen können.« SchlieÃlich war der Präsident persönlich an der Reihe und wies in einer ernsten Rede auf die groÃen neuen Bedrohungen der Informationswirtschaft hin. Am gleichen Tag kaperten Hacker die Internetseiten von neunundvierzig Kongressabgeordneten. Sie hinterlieÃen eine Botschaft: »Fuck Obama!! Red Eye Crew!!!«
Die Suche nach dem Geisternetz
Es ist Montagabend in Toronto, drauÃen ist es dunkel geworden, und Nart Villeneuve wird gleich seine kleine Tochter ins Bett bringen. Aber mit seinen Gedanken ist er bei drei interessanten Computern, die er im Internet entdeckt hat. Der Meisterhacker hat Kommandoserver entdeckt, die es Hackern ermöglichen, »Zombie-Netzwerke« im Internet zu kontrollieren. Digital verseuchte Rechner, irgendwo da drauÃen, die ohne das Wissen ihrer Besitzer den Befehlen fremder Hacker gehorchen. Villeneuve will herausfinden, welche Befehle genau das sind. »Wenn man so etwas gefunden hat, muss man dranbleiben«, sagt er. »Man weià ja nie, wie lange dieses Schlupfloch noch offen ist.«
Nart Villeneuve. 36 Jahre alt. Ein groÃer, kräftiger Typ, der bequeme Gebrauchskleidung in Khaki trägt und einen abwaschbaren Anorak darüber. Ungeduldig stapft er vom linken auf den rechten auf den linken FuÃ, die kräftigen Finger vor dem Bauch verschränkt, während der Drucker einige Seiten mit technischen Detailangaben produziert. Er wirkt ungeduldig. Es geht ihm häufig alles zu langsam, hier drauÃen in der richtigen Welt.
Wenn Villeneuve in den Cyberspace eintaucht, wenn er einen seiner vielen Codenamen wie »MC« annimmt und durch ferne Datennetze streift â dann zeigt sich die wahre Qualität des Meisterhackers. Er hat die Geduld eines Jägers. Er kann warten und verharren und dann plötzlich ganz schnell zuschlagen. Aus kleinsten Datenspuren liest er ab, wie die Guten ihre Sicherheitsprogramme konfigurieren und wohin die Bösen ihre Schadprogramme schicken. Er notiert Internetadressen, E-Mails, die eitlen Künstlernamen anderer Hacker. Er schaut nach, ob sie schon einmal früher benutzt worden sind und ob man Orte, Namen, gar Telefonnummern mit ihnen verbinden kann.
»Früher oder später machen Leute einen Fehler«, sagt er. »Dann kann ich ganz genau sehen, was sie treiben.« Als er kürzlich einen ausführlichen Bericht über ein groÃes Spionagenetzwerk
verfasst hatte, stellten er und andere kanadische Forscher fest, dass die Leute dahinter offenbar die Flucht ergriffen â und dass sie eigene Internetadressen wie www.assam2008.net aufgegeben hatten. Also gaben die kanadischen Forscher um Nart Villeneuve nun erst recht keine Ruhe, kauften selber die Rechte an dieser Internetdomäne â und schauten fortan zu, wer alles mit ihnen Kontakt aufnahm. »Sinkhole«, heiÃt diese Technik, Loch im Boden. Es ist eine Falle, in die früher oder später ein Bösewicht tappt.
Villeneuve will auf der Seite der Guten stehen. Er möchte ergründen, wer hinter den Attacken auf Bürgerrechtler, Firmen oder Staaten steckt. Mal arbeitet er für
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