Zeitbombe Internet
Kultur von Hackern entstand. Manche sind politisch motiviert: nationalistisch gesinnte junge Leute, die sich zu Gruppen wie der »Roten Hackerallianz« zusammengefunden haben, um ihren Nationalstolz an ausländischen Webseiten auszuleben. Einzelgänger geben sich Künstlernamen wie »Guter Wille« oder »Einsamer Schwertkämpfer«. Die chinesischen Hacker gehören jedenfalls zu den besten der Welt.
Aber was wollen sie eigentlich?
Die Antwort auf diese Frage führt weg von Peking â und ausgerechnet wieder nach Fort Leavenworth, in die amerikanische Stadt mit dem traditionsreichen Militärstützpunkt, wo sie gerade so angestrengt über den Einsatz von Soldatenrobotern und Robotersoldaten nachdenken. Scott Henderson, ein frühpensionierter Mitarbeiter der Armee, der heute Anfang Fünfzig ist, hat nämlich eine ganze Menge über die Chinesen ans Tageslicht befördert. In seiner Zeit als Soldat und später als privater Forscher. »The Dark Visitor« heiÃt sein Weblog und ein gleichnamiges Buch aus seiner Feder. Das klingt ziemlich
düster. So ähnlich wie Spion gegen Spion. Aber Henderson ist kein Spion. Er ist Sprachwissenschaftler.
Henderson verfügt über ein seltenes Talent in Militärkreisen: Er spricht flieÃend Mandarin, er hat eine Ehefrau aus Taiwan, und er versteht etwas von Computern. In Fort Leavenworth beauftragte man den Linguisten deshalb einige Zeit lang, Informationen über diese unheimlichen neuen Feinde zusammenzutragen: chinesische Hacker. Und nach dem Austritt aus dem Militär hat Henderson nicht mehr damit aufgehört. Anfangs, erzählt Henderson, habe er die Mission für nahezu unmöglich gehalten, aber das war sie gar nicht. Im Gegenteil. Erstaunt stellte er fest, dass Chinas Hacker in hellem Tageslicht operieren. Sie waren eitel: Sie stellten nicht nur ihre Erfolge auf Webseiten zur Schau, sondern auch noch ihre Fotos und manchmal ihre Handynummern.
»Das Problem war gar nicht, überhaupt an Informationen zu kommen«, sagt Henderson. »Das Problem war, aus diesem riesigen Berg an Informationen etwas herauszufiltern.« Henderson malte Organigramme. Gab gefundene Informationen in Datenbanken ein, um Muster und typische Verhaltensweisen zu identifizieren. Er versuchte, wichtige Hacker von unwichtigen zu unterscheiden, sie den unterschiedlichen Gruppen und Banden zuzuordnen, einzelne Hackerkarrieren genauer zu verfolgen. Er kam am Ende auf die unwahrscheinliche Zahl von 380.000 verschiedenen Hacker-Identitäten. Eine Gruppe, erinnert er sich, hatte sogar eine Art Hacker-Hymne ins Netz gestellt, zum Mitsingen. »Wenn das hier eine geheime Regierungsorganisation war«, spottet Henderson, »dann war das die undisziplinierteste geheime Regierungsorganisation auf der Welt.«
Ein paar Dinge, stellte Henderson fest, hatten die Hackergruppen aber gemeinsam. Sie waren Patrioten.
Spätestens Ende der neunziger Jahre hatten sich in China mehrere »patriotische« Hackergruppen gebildet, die mit koordinierten Angriffen auf ausländische Webseiten oder Computer politische Statements verbanden. 1998 zum Beispiel traf es Indonesien, wo gerade anti-chinesische Krawalle stattfanden.
1999 traf es amerikanische Regierungs-Webseiten, nachdem ein NATO-Bomber die chinesische Botschaft in Belgrad getroffen hatte. 2001 traf es wieder die Amerikaner, nachdem ein chinesisches und ein amerikanisches Kampfflugzeug zusammengestoÃen waren: Sogar die Homepage des WeiÃen Hauses war lahmgelegt, und etliche Regierungswebseiten enthielten plötzlich Sprüche wie »Schlagt den Amerikanischen Imperialismus nieder!« oder »China Hack!«. Die New York Times sprach vom »Ersten World-Wide-Web-Krieg«.
Es dauerte aber nicht lange, da spielten bei vielen chinesischen Hackern auch kriminelle Motive eine Rolle. Sie schauten sich einiges ab bei den russischen Hackerbanden, die Kreditkartendaten übers Internet stahlen, Firmen erpressten und im Netz alle möglichen Verbrechen koordinierten. »Die verkaufen Hintertüren in Onlinespielen«, wusste Henderson zu berichten, »sie veräuÃern Viren, Trojaner und Hackertricks, das alles hat eine sehr geschäftsmäÃige Seite bekommen.« Vom Hacken konnte man gut leben in China. Wer eine bislang unentdeckte Sicherheitslücke in Microsoft Windows oder einem beliebten Programm oder einem Computerbauteil entdeckte, konnte dafür zehntausende Dollar
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