Zeitbombe
der Garderobe abgeben. Das werde ich für den Rest meines Lebens mit mir herumtragen müssen.«
Bornmann schüttelte den Kopf.
»Das ist Quatsch, und das wissen Sie auch. Also, lassen wir es einfach dabei, dass es eine Verkettung unglücklicher Umstände war, und gut.«
»Wenn Sie es so wollen … Wo werden Sie als Erstes hingehen, wenn Sie draußen sind?«
»Darüber habe ich mir auch schon Gedanken gemacht, aber eingefallen ist mir nichts. Vermutlich werde ich meine Schwester besuchen, ein paar Tage bei ihr verbringen und danach weitersehen. Sorgen, dass mir etwas passiert, sollte ich mir wegen der Einheiten, die mich bewachen, ja keine machen müssen.«
»Nein, da haben Sie recht. Lebt Ihre Schwester in Kassel?«
Er nickte.
»Ja. Und immer noch in der gleichen Wohnung wie damals, die aber leider zu klein ist, um dauerhaft bei ihr unterzukommen.«
»Aber wenn ich richtig informiert bin, sind Sie nie von ihr besucht worden?«
Wieder ein Nicken.
»Das war besser so. Ihr Mann mochte mich nicht sonderlich.«
»Hat sich das geändert?«
»Er ist letzten Monat gestorben.«
»Ach so, dann …«
»Schon gut«, entgegnete er. »Ich konnte ihn auch nicht leiden.«
Das Thema war der Frau offenbar peinlich, denn sie kam ansatzlos auf etwas anderes zu sprechen.
»Sie müssen sich ein Konto einrichten, Herr Bornmann, damit wir Ihnen Ihr Geld überweisen können. Immerhin sind es …«
Sie öffnete den Deckel einer Akte auf dem Schreibtisch und blätterte darin.
»… mehr als 13.000 Euro.«
»13.000 Euro für 21 Jahre, vier Monate und sechs Tage. Das dürfte auch nach heutigen Maßstäben kein guter Stundenlohn sein.«
»Ich kann«, räusperte sich seine Gesprächspartnerin, »Sie gut verstehen. Ich kann verstehen, dass Sie verbittert sind über das deutsche Rechtssystem, das Ihnen nach Verbüßung Ihrer Haftstrafe die Sicherungsverwahrung aufgebürdet hat, aber das soll und darf nicht dazu führen, dass Sie erneut straffällig werden. Und das ist keine Forderung, denn ich habe ab heute nichts mehr von Ihnen einzufordern, sondern eine Bitte. Ich bitte Sie, nicht mehr straffällig zu werden, Herr Bornmann, obwohl ich weiß, wie viel Wut auf das Rechtssystem Sie mit sich herumtragen.«
»Nehmen Sie es nicht persönlich, Frau Direktor, aber so schön war’s hier drin auch nicht, dass ich unbedingt wiederkommen will.«
Damit stand er unbeholfen auf und griff nach seinem Koffer.
»Wenn Sie nichts mehr auf dem Herzen haben, würde ich dann gehen.«
»Ja, nein«, erwiderte die Direktorin der Kasseler Justizvollzugsanstalt. »Ich will Sie auf gar keinen Fall aufhalten.«
Sie stand auf, kam um den Schreibtisch herum und drückte ihm herzlich die linke Hand mit dem Stock darin.
»Alles Gute für Sie, Herr Bornmann, was immer Sie auch planen.«
»Danke, Frau Direktor.«
Er lächelte sie kurz an und ging langsam, auf seinen Stock gestützt, Richtung Tür. Dann jedoch drehte er sich noch einmal zu ihr um.
»Muss ich damit rechnen, dass mich am Tor eine Horde von Journalisten empfängt?«
»Nein. Wir haben, so gut es ging, den Termin geheim gehalten.«
»Gut.«
Ein paar Minuten später öffnete sich die schwere Stahltür im Tor der Haftanstalt und entließ Rüdiger Bornmann in die Freiheit. Der Mann blinzelte in die Sonne und atmete tief ein, gerade so, als wäre die Luft auf dieser Seite des Tores eine andere als auf der Seite, von der er kam. Sein Blick kreuzte sich mit dem eines Mannes, der in einem VW-Passat auf der gegenüberliegenden Straßenseite saß und ihn anstarrte. Dann humpelte Rüdiger Bornmann Richtung Innenstadt davon.
2
Ein paar Monate später
»Maria, hast du mein dunkelblaues Sakko gesehen?«, rief Hauptkommissar Paul Lenz, der Leiter der Kasseler Mordkommission, in Richtung Schlafzimmer, wo seine Freundin, ebenso ratlos wie unentschlossen, vor mehr als zwei Regalmetern Blusen stand.
»Hab ich in die Reinigung gebracht«, murmelte sie.
»Was sagst du?«, kam es aus der Küche zurück, wo der Polizist vor der Espressomaschine stand und auf das Durchlaufen des braunen Muntermachers wartete.
Maria tauchte hinter ihm auf, griff ihm unter den Achseln durch und kraulte seine Brusthaare.
»Das hatte einen Fleck auf dem Rücken, deshalb habe ich es zusammen mit ein paar von meinen Sachen in die Reinigung gegeben. Nimm doch das dunkelbraune, das gefällt mir ohnehin viel besser.«
Lenz drehte sich um und zog sie heran.
»Damit du mich damit durch die Tür verschwinden siehst
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