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Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karsten Flohr
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ihr selbst …«

Hunde
    Als Wilhelm kurz darauf das Gutshaus betrat, vernahm er Stimmen. Er trat an die Tür des Esszimmers und lauschte. Die eine Stimme gehörte eindeutig seiner Großmutter, so wie sie früher war – klar und frisch, beinahe jung klang sie. Die andere war die Stimme seines Großvaters. Wilhelm konnte nicht hören, worüber sie sprachen, aber sie schienen bester Laune zu sein. Die Großmutter lachte gerade hell auf, als Wilhelm hinter sich eine Bewegung wahrnahm. Er drehte sich um und blickte seiner Mutter ins Gesicht. »Da hörst du es selbst«, sagte sie, »die beiden amüsieren sich prächtig. Sie waren bis zu seinem Ende verliebt wie am ersten Tag.«
    »Wie lange waren sie verheiratet?«, fragte Wilhelm leise.
    »Sechsundfünfzig Jahre. Hörst du sie? Sie klingt immer noch wie ein junges Mädchen. Komm, wir wollen sie nicht stören. Sie ist glücklich.«
    »Trotzdem – es ist irgendwie unheimlich. Wie sie seine Stimme imitiert …«
    Wilhelm folgte seiner Mutter ins Kaminzimmer. »Und – ging alles gut?«, fragte sie, als sie sich in zwei Sessel unter dem riesigen Ölgemälde gesetzt hatten, das den Baron d’Alsace zeigte, der im 17. Jahrhundert das Gutshaus erbauen ließ. »Mit deinem Arm, meine ich, bist du mit dem Pferd klargekommen?«
    Wilhelm senkte den Blick, ihm war unbehaglich. Er nickte. »Aber eigentlich war es noch zu kalt zum Ausreiten«, sagte er schnell. »In den nächsten Tagen soll es wärmer werden, hat mir ein Bauer erzählt.«
    Helène sah ihn aufmerksam an. »Welcher Bauer?«
    »Ich kenne ihn nicht. Er kam mir auf einem Feldweg mit einem Pferdegespann entgegen. Wir sind ins Gespräch gekommen. Ich glaube, er ist ein Freund von Monsieur Printemps, er kam mir bekannt vor.«
    »Und – hast du den auch getroffen?«
    »Nein«, entgegnete Wilhelm und fasste an seinen bandagierten Arm, als würde er ihm Schmerzen bereiten, »ist er denn da?«
    Helène registrierte die Bewegung, ignorierte sie aber. »Wie ich hörte, kommt und geht er unregelmäßig. Er scheint viel beschäftigt zu sein, keiner weiß, womit. Auch der stets gut informierte Rogér nicht. Angeblich hat er Kontakte zu dieser Freiheitsbewegung.«
    »Wer, Rogér?«
    »Nein, der doch nicht! Rogér würde sich nie gegen seine Herrschaften stellen.«
    Wilhelm sah sich um. »Wo ist er überhaupt?«
    »Ich habe ihm Urlaub gegeben, bezahlten Urlaub. Es ist mir unangenehm, wenn er Großmutter in diesem verwirrten Zustand sieht, ich komme eine Weile auch ohne seine Hilfe zurecht. Kochen kann ich selbst, vielleicht muss ich nur irgendwann eine Krankenschwester engagieren.«
    Wilhelm nickte und wusste nicht, was er sagen sollte.
    »Was ist?«, fragte seine Mutter und beugte sich vor, »hast du nach ihr gesucht?«
    Wilhelm antwortete nicht.
    »Hast du sie gefunden?«
    Wilhelm schüttelte kaum merklich den Kopf. »Ich bin nur durch die Gegend geritten, habe Orte aufgesucht, an denen ich früher mit ihr war.«
    Helène erhob sich und legte eine Hand auf seine Schulter. »Mein Junge, du bist ein verlobter Mann, vergiss das nicht …«
    Sie ging zur Tür. »Ich werde mal nachsehen, was ich in der Küche für uns finde, du wirst hungrig sein.« Nachdem sie den Raum verlassen hatte, trat Wilhelm ans Fenster und spähte hinüber zum Häuschen der Printemps. Für eine Sekunde sah er Aiauschi vor dem Haus stehen, den Blick ihm zugewandt. Wilhelm schloss die Augen. Als er sie wieder öffnete, war er fort.
    *
    Es wurde wärmer während der nächsten Tage, ein Vorbote des Frühlings machte sich in Nordfrankreich breit. Jeden Morgen sattelte Wilhelm den Schimmel und ritt vom Hof, um fast den gesamten Tag fort zu bleiben. Adèle war nicht zu ihrer Tante gereist. Wilhelm und sie trafen sich jetzt an dem Ort, der schon in früheren Jahren ihr Geheimplatz gewesen war: die Burgruine im nahen Wald. »Wie kann ich fortgehen, wenn du gerade gekommen bist?«, sagte sie, als er fragte, warum sie nicht nach Verdun gereist war. Sie brachte Käse, Schinken und Brot in einem Korb, den sie auf ihrem Fahrrad dabeihatte. Sie verbrachten die Tage mit Wanderungen in den majestätischen Eichenwäldern und rasteten an stillen, unberührten Plätzen, wo die Vögel ihre ersten, noch zaghaften Lieder für sie erklingen ließen. Sie vermieden Fragen nach der Zukunft, sie spürten beide, dass die Zeit einen kurzen Moment lang nur für sie stehengeblieben war, dass jedes falsche Wort die Magie ihrer Gemeinsamkeit zerstören würde. »Egal, wie lange wir noch so

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