Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
kaum noch weh«, unterbrach ihn Adèle und blickte auf ihre Schulter, »das Pferd hat mich ja nicht richtig getroffen.«
»Aber der Boche hätte dich fast erwischt, ich mag gar nicht daran denken, was sie mit dir gemacht hätten! Wahrscheinlich hätten sie dich erschossen. Ich werde dich nie wieder um so etwas bitten. Ich mag dich auch nicht mehr in dieser Jungenkleidung sehen.«
Wilhelm hörte Adèle lachen. »Wenn es das nur ist«, sagte sie, »ich trage die Sachen ganz gern. Und der Haarschnitt ist recht praktisch.«
Printemps seufzte und ließ sich auf den Küchenstuhl fallen. »Was passiert hier bloß mit diesem Land. Hört das nie auf? Es ist der schönste Flecken Erde auf der Welt, aber so, wie’s aussieht, ist es immer noch nicht zu Ende. Es wird alles noch schlimmer kommen, schlimmer, als wir es jemals hatten.«
Adèle mochte es nicht, wenn ihr Vater in dieser Stimmung war, und wollte ihn aufheitern, als er unvermittelt sagte: »Er ist hier. Ich habe ihn heute früh getroffen.«
Schnell hob er den Blick und sah Adèle forschend ins Gesicht. Sie sah ungerührt aus dem Fenster. »Wer?«
»Dein junger Freund aus Berlin«, sagte Printemps. »Es scheint in Afrika Probleme gegeben zu haben, und er soll sich hier erholen.«
Printemps folgte dem Blick seiner Tochter durch das staubige Fenster in die Abenddämmerung. Als er das Gutshaus sah, sagte er leise: »Du hast ihn immer noch nicht aufgegeben.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Es ist nicht gut«, sagte Printemps, »es ist nicht gut für dich. Ich weiß, er ist anders als die übrigen Preußen, aber er ist ein Preuße. Ich kann dich nur anflehen, ihm fernzubleiben. Ich vermute, er wird nach dir suchen, ich habe ihm erzählt, du wärest bei Tante Cathérine. Er wird sicherlich nach Verdun reiten, sofern er das mit einem Arm kann. Aber er wird wiederkommen.«
»Er ist schon hier.«
Printemps sah überrascht auf.
»Er ist oben, er wartet auf mich.«
Printemps erhob sich und sah seine Tochter skeptisch an, dann machte sich ein Grinsen auf seinem Gesicht breit. »Schön, dassdu deinen Humor noch nicht verloren hast!«, lachte er. »Das wäre das Schlimmste, was einem Lothringer passieren kann.«
Er drückte Adèle noch einmal an sich. »Ich spanne jetzt die Pferde ab – nein, hilf mir nicht dabei. Schone deine Schulter.« Mit schweren Schritten verließ er den Raum.
In der Tür blieb er noch einmal stehen. »Heute Nacht ist ein Treffen der Bewegung in der alten Ruine in den Bergen«, sagte er leise. »Ich werde daran teilnehmen und komme erst morgen am Abend wieder, dann bringe ich dich zu Cathérine, bei ihr bist du am sichersten. Und du kannst dich erholen – sie wird gut für dich sorgen.« Printemps ging zu seinem Pferdefuhrwerk, langsam entfernten sich die Hufgeräusche.
Adèle hob ihren Kopf und sah zum Treppenabsatz hinauf, wo Wilhelm stand und sie entgeistert ansah. »Warum hast du ihm gesagt, dass ich hier bin? Was, wenn er heraufgekommen wäre?«
Sie lächelte. »Das wäre er nicht. Ich wusste, dass er es nicht glauben würde. Manchmal ist es am besten, einfach die Wahrheit zu sagen. Er hält dich immer noch für einen kleinen Jungen und ist sicher, dass er dich heute Morgen genügend eingeschüchtert hat. Er würde dich niemals hier im Haus vermuten. Aber du brauchst ihn nicht zu fürchten, er mag dich, das weiß ich«, sagte sie, während sie die Treppen zu ihm heraufkam. »Bleib noch.«
*
Adèle hatte ihren Vater unterschätzt. Als Wilhelm später den Weg zum Haus seiner Mutter ging, trat Printemps plötzlich hinter einem Baum hervor. »Einen Moment noch, mein Junge, nicht so eilig.«
Wilhelm schrie vor Schreck leise auf. »Nur mit der Ruhe«, sagte Printemps, »lass uns ein Stück zusammen gehen.« Er deutete auf die Weinstöcke, die sich zu beiden Seiten des Weges erstreckten. Er schob Wilhelm nach links in einen Pfad, der so schmal war, dass sie gerade nebeneinander gehen konnten. »Du brauchst jetzt nichts zu sagen«, flüsterte Printemps, »ich werde reden.«
»Du weißt nichts über unser Land«, begann Printemps, »fast nichts zumindest. Es gibt kein zweites Land auf der Welt, das so viel hin und her gestoßen wurde wie Elsass-Lothringen. Deutsche Fürsten, französische Adlige, englische Söldner – in regelmäßigen Abständen haben sie sich hier breitgemacht, mal mussten wir deutsch sprechen, mal französisch, mal wurde in der Kirche auf lateinisch gepredigt, dann wieder überhaupt nicht. Aber wir haben es immer wieder
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