Zeitenlos
groß. Zuerst nahm ich die Grapefruit in Angriff. Als mein Teller halb leer war, hielt meine Mutter es nicht mehr länger aus.
»Willst du dein Geschenk jetzt oder später?«, fragte sie und war schon fast von ihrem Stuhl aufgestanden.
»Jetzt ist gut«, antwortete ich, um sie nicht zu enttäuschen.
Sie sprang auf und kehrte mit einer Schachtel zurück, deren Anblick mich zum Lachen brachte. Hier saß ich, gerade stolze Achtzehn geworden, und sie hatte mein Geschenk in leuchtend rosa Papier mit Teddybären darauf eingepackt. Ich verdrehte die Augen.
»Mach es auf«, sagte sie.
Ich band die riesige Schleife auf und zog das Papier weg. Zum Vorschein kam ein Karton, in dem sich eine digitale Kamera mit 10.0 Megapixeln befand. »Mama!«
»Gefällt sie dir?«
»Natürlich gefällt sie mir. Aber was hast du dir dabei gedacht? Das wär wirklich nicht nötig gewesen.«
»Doch, Schatz. Du brauchst für deinen Kurs eine Kamera, und du redest die ganze Zeit vom Fotografieren.«
»Mama, ich brauche zwar eine Kamera, aber nur eine ganz normale Digitalkamera. Die hier ist viel zu übertrieben.«
»Nein, ist sie nicht. Du verdienst sie. Das ist etwas, was du lange benutzen kannst.«
Ich umarmte sie, und sie drückte mich, während sie mich auf die Wange küsste. »Danke«, sagte ich.
»Keine Ursache.«
Ich stand auf und stellte meinen Teller in die Spüle, doch sie redete weiter. »Ich bin noch nicht fertig.«
»Mama. Ich habe dir doch gesagt, dass du aus meinem Geburtstag keine große Sache machen sollst. Du tust schon genug für mich.« Ich drehte mich zu ihr um. Sie zog ein Gesicht. »Na gut. Raus damit.«
Es stellte sich heraus, dass sie Pläne für das Abendessen hatte. Sie würde diesen Meilenstein in meinem Leben nach Kräften feiern. Es hatte überhaupt keinen Sinn, sich zu sperren, also ruhte ich mich in meinem Zimmer aus, bis es Zeit war zu gehen. Den größten Teil des Nachmittags telefonierte ich mit Kerry und fotografierte die herrliche Aussicht von meiner Veranda. Gegen fünfzehn Uhr ließ meine Mutter mich wissen, dass wir gleich los müssten. »Ach, übrigens«, rief sie zu mir hoch. »Zieh dir etwas Nettes an.«
»Wie nett?«, schrie ich zurück.
»Nur keine Jeans«, hörte ich ihre sich entfernende Stimme.
Okay. Keine Jeans. Ich ging zum Schrank und inspizierte meine Garderobe. Ich besaß nicht viele wirklich schicke Sachen, aber ich fand eine schwarze Caprihose und ein schwarz-weiß gestreiftes Tankshirt. Außerdem besaß ich schwarze Sandaletten, die schick, aber bequem waren, und zog sie an. Meine überdimensionierte burgunderrote Tasche war für den Anlass eigentlich etwas zu lässig, aber ich mochte den Stil, und deshalb griff ich danach. Ohrringe trug ich keine, nur eine Halskette, einen mit braunen Steinen bedeckten Kreuzanhänger, den ich gebraucht gekauft hatte – das war’s für mich in Sachen Schmuck.
Meine Mutter hatte sich deutlich mehr Mühe gegeben. Sie hatte ebenfalls schwarze Capris an, doch dazu trug sie ein blaugrünes T-Shirt aus Satin, eine goldene Kette um die Hüften, Ohrringe und jede Menge Armbänder. Das Outfit war Welten entfernt von ihren Arztkitteln.
Es dauerte nicht lange, bis ich heraushatte, dass wir nach San Francisco fuhren.
Sie lud mich in ein Fischrestaurant mit Panoramablick über die Bucht ein. Es war definitiv nicht der richtige Ort für Jeans, und die Hauptgerichte waren erheblich teurer als alles, was wir sonst aßen. Ich fand das Ganze völlig übertrieben.
»Mama, das ist wirklich nicht nötig.«
»Sophie, du bist meine einzige Tochter. Ich will, dass du einen schönen Geburtstag hast. Mein kleines Mädchen wird erwachsen. Das ist ein großes Ereignis.«
Ich fühlte mich etwas unbehaglich. Sie scheute keine Mühe, mich glücklich zu machen, und ich machte mir Sorgen, was passieren würde, wenn ich einmal auszog. Ich konnte mir meine Mutter nicht allein vorstellen, schob den Gedanken daran aber erst mal beiseite und widmete mich der extravaganten Speisekarte. Die Hälfte der Gerichte kannte ich nicht einmal. Deshalb bestellte ich als Hauptgang das einzige vertraut Klingende, und das war ganzer Kabeljau aus dem Ofen. Laut Karte handelte es sich dabei um Backfisch mit Pommes nach Art des Hauses. Ich mochte Pommes, also schien es eine sichere Wahl zu sein. Doch dann wurde meine Bestellung gebracht und starrte mich im wahrsten Sinne des Wortes an.
Ich hatte nicht erwartet, dass ganzer Fisch tatsächlich ein ganzer Fisch war. Der Anblick des kleinen
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