Zeitenzauber: Das verborgene Tor. Band 3 (German Edition)
übertrieben hatte – ein prächtigeres Ambiente hatte ich selten gesehen. Doch bevor ich die mit pompösem Interieur überladenen Räume bestaunen konnte, hatte ich selbst meinen großen dramatischen Auftritt. Als meine Kutsche vorfuhr – José hatte mir von irgendwoher eine wirklich noble Karosse organisiert, ganz in glänzend schwarzem Lack und von vier temperamentvollen Rappen gezogen –, blieben die gerade eintreffenden Gäste entlang der Pall Mall stehen und rissen Augen und Münder auf. Der Londoner Adel war eine eingeschworene Clique, jeder kannte jeden, und fast alle, die heute eingeladen waren, hatten mich schon einmal gesehen. Dass die totgeglaubte Erbin aus der Karibik urplötzlich hier auftauchte – und obendrein ohne die vorschriftsmäßige Anstandsbegleitung –, sorgte sofort für Neugier und Aufregung. Ringsum steckten die Leute die Köpfe zusammen und fingen an zu tuscheln, und ich tat alles, um den Effekt noch zu verstärken.
Mein Kutscher, ein höflicher Typ in Livree, trug die Schleppe meines Umhangs bis zum Portikus hinter mir her, während sein Groom mit wichtiger Miene die tänzelnden Pferde am Zügel hielt. Schließlich zog sich der Kutscher nach einer Verneigung zurück, und ich schritt mit königlich erhobenem Haupt die Stufen zum Portal empor. In einer Art Foyer nahm mich ein Lakai in Empfang und half mir aus dem Umhang, ehe er mich in die große Eingangshalle geleitete. Ich wurde von allen Seiten angestarrt, doch ich tat so, als sei es das Normalste von der Welt, ohne Begleitung hier zu sein. Huldvoll begrüßte ich die Leute, an deren Namen ich mich noch erinnern konnte.
»Lord Wrexham.« Ich nickte dem geschniegelten Mitgiftjäger zu, vor dem Iphy mich irgendwann gewarnt hatte, und er erwiderte den Gruß mit einer überraschten Verbeugung.
Ich sah das nächste bekannte Gesicht. »Oh, Mr Rule. Ich hoffe, das Duell hatte keine schlimmen Folgen für Sie. Leider kann ich Sie als Sekundanten nicht weiterempfehlen.«
»My… Mylady …«, hörte ich ihn stottern, bevor ich weiterging.
Die Empfangshalle besaß majestätische Ausmaße und war von einer hohen Kassettendecke überwölbt. Flankiert von griechischen Säulen und mit kostbarem Marmor ausgelegt, erschlug sie einen förmlich mit ihrer Pracht. In Wandnischen waren alle möglichen Bronzeskulpturen und Marmorbüsten ausgestellt, man kam sich vor wie in einem Museum der Antike. Aber das war erst der Anfang. Der Lakai führte mich durch diverse Räumlichkeiten, die einem König alle Ehre gemacht hätten. Von der Halle aus ging es in einen achteckigen Saal, der von einer großen runden Galerie gekrönt war und in dem die Durchgänge hinter leuchtend roten, mit Goldtroddeln verzierten Samtvorhängen verschwanden. Danach folgte ein weiterer Prunkraum mit blauen Seidentapeten und gewaltigen Ölschinken an den Wänden, anschließend ein Saal mit goldverzierten Schränken, weißem Marmorkamin und großen Fenstertüren zum Garten, dann ein Saal ganz in Rosenrot mit einem riesigen Kristallkronleuchter, hiernach ein weiterer Raum in Himmelblau mit goldenem Deckenstuck, und schließlich ein riesiger Saal mit einer langen Fensterfront zum Park. Anscheinend war dies der Hauptsaal, denn es war der Raum, den ich im Spiegel gesehen hatte.
Ich holte tief Luft und sah mich um. Die ganze Zeit über hatte ich so getan, als wäre ich die Ruhe in Person, doch in Wahrheit war ich das reinste Nervenbündel. Das Herz hämmerte mir gegen die Rippen, ich musste ständig der Versuchung widerstehen, meine Hand dagegenzupressen, um es irgendwie zu beruhigen. Stattdessen nahm ich einen Champagnerkelch von einem Tablett, das mir einer der zahlreichen Diener vor die Nase hielt, und trank einen kräftigen Schluck. Danach nippte ich nur noch, denn ich wusste ja, dass ich nicht viel vertrug, und ich wollte ganz bestimmt nichts tun, was meine Konzentration beeinträchtigen könnte.
Ich beobachtete meine Umgebung und versuchte, alles mit der Vision im Spiegel abzugleichen. Die Perspektive war eine völlig andere, ich sah nur einen Bruchteil dessen, was ich schon aus dem Spiegel kannte. Nebenan lag der große runde Bankettsaal, dessen Decke wie ein Sommerhimmel ausgemalt war. Von dort führte ein Durchgang in einen weiteren Riesensaal, der zur Straße hin lag. Es gab folglich mit Sicherheit auch einen kürzeren Weg vom Vestibül zum Hauptsaal – der Lakai hatte mich quasi einmal im Kreis herumgeführt, vermutlich auf Anweisung von Prinny, der offenbar Wert
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