Zeitenzauber: Das verborgene Tor. Band 3 (German Edition)
Glück, bemüht, seine aufwendige Maskerade nicht zu ruinieren, zumal er sich als Frau verkleidet hatte und ziemlich stark geschminkt war.
»Ich liebe dich«, flüsterte er mir ins Ohr. »Ohne all dieses Zeug im Gesicht würde ich dich jetzt küssen.«
»Ich dich auch!«, beteuerte ich.
»Wenn wir hier lebend rauskommen, heiraten wir sofort. In Ordnung?«
»Und wie«, sagte ich schniefend.
»Es wird Zeit, mein Kind.« José legte mir den Umhang um, den Sebastiano und ich zusammen mit ein paar anderen Anziehsachen aus unserem Haus am Grosvenor Square mitgenommen hatten. Es war ein mit Hermelin besetztes Prachtstück aus weißem Samt, das ich eigentlich lieber nicht angezogen hätte, weil ein armes Pelztier dafür hatte sterben müssen (vielleicht sogar mehrere, der Pelzbesatz war ziemlich flauschig), aber zu dem Kleid passte er einfach perfekt. Und er würde bei meiner Ankunft in Carlton House reichlich Aufsehen erregen, weil er absolut ravissant war. Aufsehen zu erregen war heute für mich die oberste Devise, das hatte José mir wiederholt eingeschärft. Je mehr Aufmerksamkeit ich auf mich zog, umso weniger würde ihm und Sebastiano zuteilwerden, darauf kam es entscheidend an.
»Eigentlich ist es seltsam, dass es schon wieder auf einer großen Abendgesellschaft passieren wird«, meinte ich, während ich mir vor dem winzigen Spiegel, der die kahle Wand über der Kommode zierte, noch rasch den Umhang zurechtrückte. Unsere aktuelle Unterkunft befand sich in einer alten Herberge in der Nähe des Tower und zeichnete sich durch denselben Mangel an Komfort aus wie all die anderen Behausungen, durch die José uns in den vergangenen Tagen geschleust hatte. Wenigstens gab es hier keine Bettwanzen, das wusste ich nach einigen nächtlichen Begegnungen mit den bissigen Biestern sehr zu schätzen.
»Was wird schon wieder auf einer großen Abendgesellschaft passieren?«, wollte Sebastiano wissen.
»Na, der ultimative Showdown. Genau wie vor zwei Jahren auf dem Maskenball in Paris.« Damals hatten wir ebenfalls im Kampf gegen einen mächtigen Alten eine Entscheidung herbeigeführt – und zum Glück im letzten Moment alles rausgerissen.
»Reiner Zufall«, widersprach Sebastiano. »Denk an unseren ersten gemeinsamen Einsatz.«
Da hatte er auch wieder recht. Als wir das erste Mal mit einem der Alten aneinandergeraten waren, hatte der große Kampf fernab von den Augen der Öffentlichkeit stattgefunden, in einem verlassenen Haus in Venedig.
»Im Grunde ist es gar kein Zufall, dass entscheidende Auseinandersetzungen während solcher Gesellschaften stattfinden«, warf José zu meinem Erstaunen ein. »Es hängt damit zusammen, dass sich zu diesen Anlässen oft alle maßgeblichen Personen versammeln, sodass sich ihre Lebenslinien an dieser Stelle im Zeitstrom bündeln und kreuzen. Stellt es euch wie einen gordischen Knoten vor, der nur von einer bestimmten Position aus zerschlagen werden kann.«
Ein Hauch von Kälte erfasste mich, denn gegen meinen Willen musste ich daran denken, was wohl geschah, wenn der Knoten diesmal nicht zerschlagen werden konnte. Unwillkürlich umfasste ich meinen wunderschönen neuen Ring und schob ihn fester auf meinen Finger. Er kam mir wie ein Symbol der Hoffnung vor. Und Hoffnung hatten wir wahrhaftig nötig. Es konnte noch alles Mögliche schiefgehen, denn die tödliche Raffinesse, mit der Fitzjohn bisher vorgegangen war, ließ keinen Zweifel daran, dass wir es mit einem ungeheuer klugen und skrupellosen Gegner zu tun hatten. Viel zu oft war er uns einen Schritt voraus gewesen. Wir durften nicht so töricht sein, uns auf Glück oder günstige Zufälle zu verlassen.
»Die Kutsche wartet«, sagte José. Er strich mir kurz übers Haar. »Du bist wunderschön, Kind.«
Ich merkte, wie ich rot wurde. Das war das erste – und vermutlich bis in alle Ewigkeit auch einzige – Kompliment, das ich je aus seinem Mund gehört hatte.
»Danke«, erwiderte ich mit rauer Stimme.
Ich küsste Sebastiano ein letztes Mal, dann machte ich mich auf den Weg.
Carlton House war ein Prunkbau hinter einer langgestreckten Säulenmauer an der Pall Mall, mit einem gewaltigen, antik anmutenden Portikus und einer eleganten Terrassen- und Gartenanlage, die direkt an den St. James Park grenzte. Für den Umbau dieses Palais hatte Prinny, wie ich aus den Unterhaltungen mit Iphy wusste, weder Kosten noch Mühen gescheut und dabei seine Schulden ins Uferlose getrieben. Gleich bei meinem Eintreffen sah ich, dass sie nicht
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