Zeitenzauber: Das verborgene Tor. Band 3 (German Edition)
der Zukunft. Davon abgesehen war Sebastiano gegen Iphys Pralinen immun. Egal, wie toll sie aussah. Und sie sah wirklich sehr schön aus mit ihrem elfenbeinfarbenen Kleid und dem sensationellen Dekolleté.
In diesem Moment mischte sich George Clevely ein, der mich die ganze Zeit über sprachlos angestarrt hatte. Er schnappte sich meine Hand und bedeckte sie mit Küssen. »Meiner Treu! Anne, liebste, entzückende Anne! Meine armen alten Ohren haben soeben nicht viel verstanden, doch meine Augen funktionieren zum Glück noch gut. Und die sagen mir zweifelsfrei, dass Sie quicklebendig sind! Und bezaubernd wie eh und je!«
Wenn er damit mein Outfit meinte, hatte er recht – es war wirklich ein Traum, noch viel schöner als das Debütantinnenkleid, das ich bei Almack’s getragen hatte. Ich erinnerte mich, wie genervt ich an dem Tag gewesen war, als Iphy mich zur Anprobe geschleppt hatte, doch nun, da ich es trug, war ich froh, dass ich die Mühe auf mich genommen hatte. Iphy hatte mir damit wirklich einen guten Dienst erwiesen.
In der Herberge hatte ich das Gesamtergebnis nicht richtig in Augenschein nehmen können, denn der Spiegel in unserer Kammer war kaum größer als ein Taschentuch, aber hier in Carlton House hingen so viele monströse Prachtspiegel herum, dass man gar nicht anders konnte, als sich selbst zu bewundern. Das Kleid war ein zarter Wasserfall aus feinstem weißem Seidenplissée und fiel – ganz im Stil der Zeit – fließend bis zu den Fußknöcheln. Für meine Frisur hätte ich zwar gut Bridgets Hilfe brauchen können, aber die Tochter unseres derzeitigen Zimmerwirts hatte es auch sehr nett hingekriegt. Sie hatte mir auf meinen Wunsch hin eine klassische Zopfkrone à la Sissi verpasst, die unter all den griechischen Lockenfrisuren zwar aus dem Rahmen fiel, aber dennoch etliche neidische Blicke auf sich zog. Sogar Iphy war davon angetan.
»Deine Haare sehen sehr hübsch aus, Liebes. Ungewöhnlich, aber hübsch.«
»Danke«, sagte ich.
»Und es freut mich sehr, wie gut das Kleid dir steht! Ich wusste gleich, dass es genau das Richtige für den heutigen Abend ist!«
»Meine liebe Anne«, sagte George tief bewegt. »Machte mir gewaltige Sorgen, als ich hörte, dass Sie besagte Reise nach Amesbury ohne meinen Schutz angetreten hatten. Folgte Ihnen augenblicklich. Doch Sie waren wie vom Erdboden verschluckt. Fürchtete sofort das Schlimmste. Die Nachricht von Ihrem Tod brach mir das Herz. Bin überglücklich, dass Sie noch leben!«
»Sehr nett von Ihnen, George.« Das war nicht bloß so dahingesagt, denn ich freute mich wirklich über seine Anteilnahme. »Wäre ich nur besser mit Ihnen gefahren!«
Unvermittelt fing mein Nacken an zu jucken. In der nächsten Sekunde verstummte die Musik, und ich sah, dass Prinny sich aus seinem geschmacklosen Goldsessel erhoben hatte. Er klopfte einem Mann auf die Schulter und strahlte dabei übers ganze Gesicht.
»Ein Überraschungsgast!«, hörte ich ihn rufen. »Seht nur, mein Bruder ist von seiner langen Reise zurückgekehrt!«
Fitzjohn war eingetroffen! Mir wurde schlagartig übel, ich musste mich schwer beherrschen, um nicht auf der Stelle durch die nächstbeste Tür abzuhauen.
»Potzblitz«, sagte George neben mir überrascht. »Tatsächlich, das ist er. Ein bisschen älter und ein bisschen bärtiger, aber sonst ganz wie früher. Hätte nicht gedacht, dass er sich jemals wieder in London blicken lässt!«
Ich sah, dass Fitzjohn zwei Weinpokale hielt. Einen davon reichte er Prinny und sagte etwas zu ihm, wahrscheinlich Komm, geliebter Bruder, lass uns auf unser Wiedersehen anstoßen! oder irgendwas ähnlich Verlogenes.
Ich hatte mich bereits in Bewegung gesetzt.
»Aber Anne, so bleiben Sie doch!«, rief George mir nach.
»Ich möchte nur rasch den Gastgeber begrüßen und bin sofort wieder da – rühren Sie sich nicht von der Stelle!«, rief ich über die Schulter zurück.
Gleich darauf rannte ich wie erwartet fast in eine große, fette Matrone hinein, die ihre Körperfülle in ein fransenbesetztes schwarzes Abendkleid gezwängt hatte. Ihr von Schleiern und Schleifen überquellender Kopfputz ließ nicht viel von ihrem dick geschminkten Gesicht erkennen, und den Rest verbarg ein enormer Fächer. Es war die Dicke, die ich im Spiegel gesehen hatte. In Wahrheit steckte in der Verkleidung der Mann, den ich liebte.
»Viel Glück«, murmelte Sebastiano, als ich an ihm vorbeieilte, ohne ihn zu beachten. Wir wussten beide, dass dies ein kritischer Moment
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