Zeitenzauber: Das verborgene Tor. Band 3 (German Edition)
darauf legte, dass die Gäste ausgiebig sein Domizil bewundern konnten.
Der Hauptsaal, in dem sich die meisten Besucher versammelt hatten, war von den kunstvollen Deckenmalereien über die plüschig-roten Samtvorhänge bis hin zu dem gigantischen Teppich eine einzige Orgie verschwenderischer Pracht. Ungläubig betrachtete ich einen Sessel, der am Kopfende eines Tisches von den Ausmaßen eines Tennisplatzes stand. Es handelte sich um eine Art Thron, ein mit Quasten behängtes Ungetüm, bei dem die Lehnen zum größten Teil aus goldenen Sphinxen (mit nackten Frauenbrüsten!) bestanden. In diesem monströsen Sessel saß Prinny höchstpersönlich und hielt Hof. Er war von diversen Leuten umlagert, aber Fitzjohn war nirgends zu sehen. Er schien noch nicht da zu sein.
»Lady Anne!«
Beim Klang der Frauenstimme fuhr ich herum. Vor mir stand Lady Jersey, wunderhübsch anzusehen in einem lapislazuliblauen Kleid mit silberdurchwirkter Schärpe. Sie musterte mich mit offener Freude, aber auch voller Erstaunen.
»Zuerst dachte ich, ich sehe nicht richtig, doch Sie sind es wirklich! Wie froh ich bin, dass es Ihnen gut geht! Was musste ich da für ein schreckliches Gerücht über Ihren angeblichen Tod hören!« Ihre Augen funkelten vor Neugier. »Wie kam es denn dazu?«
»Das lässt sich nicht in drei Worten erklären«, meinte ich geistesabwesend. »Ich erzähle es Ihnen irgendwann ganz ausführlich. Aber jetzt entschuldigen Sie mich bitte, ich muss dringend zu meiner Cousine.« Soeben hatte ich Iphy entdeckt. Sie stand mit George Clevely zusammen, genau an der Stelle, an der ich sie auch im Spiegel gesehen hatte. Das konnte nur eins bedeuten: Die Ereignisse, die sich mir in der Vision gezeigt hatten, standen unmittelbar bevor, denn Iphy und George würden garantiert nicht stundenlang dort bleiben, wo sie sich gerade aufhielten. Suchend sah ich mich um, doch Fitzjohn war immer noch nicht aufgetaucht.
Iphy hatte mich ebenfalls bemerkt. Sie hob beide Arme und winkte mir hektisch zu. »Anne! O mein Gott! Du bist es wirklich!«
Ich eilte auf sie zu, damit sie nicht zu mir kommen konnte – alles, was die Szene im Spiegel gezeigt hatte, sollte möglichst so bleiben, wie ich es in Erinnerung hatte, denn sonst würde am Ende vielleicht alles ganz anders ablaufen und unser Plan dadurch gefährdet.
Ich gab mir Mühe, nichts zu empfinden, als Iphy aufgewühlt beide Arme um mich schlang und mich mit einem kleinen Schluchzen fest an sich drückte. Dabei merkte ich, dass ich sie wirklich vermisst hatte und musste mich anstrengen, nicht ebenfalls in Tränen auszubrechen.
»Iphy«, sagte ich mit belegter Stimme. »Es ist schön, dich zu sehen.«
»Oh, Anne! Ich fasse es immer noch kaum! Du bist am Leben!« Ihre Augen glänzten feucht, und ihre Lippen zitterten. »Du ahnst nicht, wie viel ich geweint habe, weil ich glaubte, du seist tot! Es stand sogar in der Zeitung, dass Straßenräuber euch überfallen und umgebracht haben!«
Ich konnte ihr schlecht verraten, dass das bloß eine Finte von Fitzjohn gewesen war, der irgendeine offizielle Begründung für unser Verschwinden gebraucht hatte.
»Wie kommt es, dass du nach diesen furchtbaren Wochen auf einmal wohlbehalten wieder da bist?«, wollte sie wissen.
»Ach, die Räuber haben uns nicht umgebracht, sondern bloß gefangen gehalten, weil sie … Lösegeld wollten. Es dauerte eine Weile, aber schließlich konnten wir fliehen.«
Ihre Augen leuchteten auf. »Und dein Bruder? Geht es ihm gut?« Neugierig äugte sie über meine Schulter. »Ist er auch hier?«
»Nein, er muss sich noch schonen. Das alles hat ihn schwer mitgenommen.«
»Ich sollte ihn besuchen und ihn meiner immerwährenden Fürsorge versichern.« Sie beugte sich zu mir und vertraute mir flüsternd an: »Weißt du, ich könnte über seine … Veranlagung hinwegsehen, denn entscheidend sind doch seine Güte und Herzlichkeit. Außerdem – wer weiß, ob er sich nicht künftig doch noch eines Besseren besinnt. Dass er noch lebt, betrachte ich als Zeichen für einen Neubeginn. Anne, ich möchte ihn so bald wie möglich wiedersehen! Ich werde ihm seine Lieblingspralinen mitbringen.«
Ich unterdrückte heldenhaft ein Zähneknirschen. »Das kannst du in den nächsten Tagen gerne tun«, sagte ich dann gespielt großmütig – und in dem tröstlichen Wissen, dass ich Sebastianos Verlobungsring am Finger trug. Wenn heute alles gut ausging, wären wir sowieso bald in sicherer Entfernung – nämlich zweihundert Jahre in
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