Zeitenzauber: Das verborgene Tor. Band 3 (German Edition)
aufrappelten.
»Donnerwetter«, sagte Prinny. Mit einem Mal sah er sehr bleich aus. »Einen Moment lang dachte ich, es sei ein Attentat. Zum Teufel, sieh sich das einer an!« Er zog einen seiner enormen Orden von der Brust und hielt ihn hoch. Die Kugel, die Mr Scott auf ihn abgefeuert hatte, steckte genau in der Mitte.
»Ein perfekt gezielter Schuss!«, rief der Heizer. Er war blass und ächzte ein bisschen, stand aber in straffer Haltung da. Erklärend wandte er sich an die Runde. »Der Mann ist einer der besten Kunstschützen Englands.«
»Ich hätte geschworen, er wäre der alte Buchhändler aus der Bond Street«, sagte irgendwer.
»Ja, das ist er auch«, rief ich dazwischen. »Aber seine liebste Freizeitbeschäftigung ist das Kunstschießen!« Ich musste mich sehr bemühen, das Zittern in meiner Stimme zu dämpfen. Mit gespielter Lässigkeit behauptete ich: »Er trifft das Auge einer Mücke auf dreißig Schritt Entfernung. Und natürlich war die Kugel präpariert, sie hatte überhaupt keine Durchschlagskraft, sonst hätte sie ja den Orden durchbohrt.« Strahlend wandte ich mich an die Zuschauer. »War das nicht eine phänomenale Vorstellung?«
Das fanden die anderen auch. Vor allem George Clevely, der gar nicht aufhören wollte zu applaudieren und ein ums andere Mal »Vivat!« rief. Anscheinend war er von der Vorführung besonders begeistert, was dazu führte, dass er die übrigen Gäste erneut mitriss und alle noch einmal klatschten, bis sogar Prinny zögernd anfing zu applaudieren. Immerhin hatte die Maschine aufgehört zu arbeiten. Der Dampf hatte sich verzogen, weshalb jetzt jeder sehen konnte, dass der vermeintliche Zaubertrick bestens funktioniert hatte, denn von dem unfreiwilligen Zauberlehrling war kein Zipfel mehr zu sehen.
»Sehr gut!«, rief Prinny, während er um die Maschine herumging und in alle Ritzen und Öffnungen spähte. »Wirklich formidabel! Spurlos verschwunden!« Suchend sah er sich um. »Und wo ist er nun, der Gentleman, der behauptet hat, mein Bruder zu sein? Wahrhaftig, ich dachte tatsächlich, er sei nach all den Jahren endlich heimgekehrt. Wir standen uns zwar nie sonderlich nahe, aber ich verspürte beinahe einen Anflug von Wiedersehensfreude. Fast finde ich es schade, dass er nur ein Schauspieler ist. Wenn auch ein ganz fabelhafter. Dieser scheinbare Widerstand, der Schusswechsel, das ganze Drama – eine unglaubliche Inszenierung! Da könnte selbst ein Shakespeare neidisch werden!« Er äugte neugierig in Richtung Bankettsaal. »Ist er da drüben gelandet? Oder wird er gleich dort auftauchen? Es fehlt doch noch das Ende des Zauberkunststücks!« Er winkte den Gästen. »Kommt, wir gehen rüber, sonst verpassen wir es noch!«
Erwartungsvoll spazierte die Menge durch den Saal davon. Einige der Gäste wandten sich neugierig zu uns um, sie schienen davon auszugehen, dass wir mitkamen.
Doch wir waren zu sehr mit Schadensbegrenzung beschäftigt.
Mr Stephenson hatte Mr Scott auf die Beine geholfen. Der alte Buchhändler war ganz grau im Gesicht und konnte sich kaum aufrecht halten. »Sie hätten mich nicht decken müssen. Ich verdiene es nicht, dass man mich schont.« Seine Stimme klang hohl wie aus einer Gruft. »Mein Leben bedeutet mir ohnehin nichts mehr. Ich habe es nur für meinen Enkel getan, doch nun ist es zu spät. Das war eben sein Todesurteil.«
»Heißt das, Jerry lebt noch?«, fragte ich hoffnungsvoll.
Mr Scott zitterte am ganzen Körper. »Fitzjohn hat ihn in irgendeinem unterirdischen Loch eingekerkert. Außer ihm weiß kein Mensch, wo der Junge ist. Er wird verhungern und verdursten, Fitzjohn hat es mir ausdrücklich gesagt.«
»Wussten Sie von Anfang an, dass Jerry noch lebt?«
Mr Scott schüttelte niedergeschmettert den Kopf. »Genau wie Sie glaubte ich die ganze Zeit, Jerry sei bereits tot. Doch an dem Abend, bevor Sie wegen des Spiegels zu mir kamen, tauchte Fitzjohn plötzlich auf und sagte, dass es Jerry gut geht und dass er freikommt. Die Bedingung dafür war, dass ich Sie am Grosvenor Square in die Falle lockte. Die Männer, die ich dorthin mitgebracht hätte, standen in Fitzjohns Diensten. Bitte verzeihen Sie mir diesen Verrat, aber ich konnte nicht anders!« Ein trockenes Schluchzen schüttelte ihn, und vor lauter Entsetzen und Mitgefühl stockte mir der Atem.
Dann bemerkte ich schockiert, wie José sich mit schmerzverzerrter Miene den Leib hielt.
»Du bist verletzt!«, rief ich. »O Gott, es ist ein Bauchschuss!« Ich wusste ganz genau, dass das
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