Zeitenzauber: Das verborgene Tor. Band 3 (German Edition)
keineswegs bloß an Josés faltenzerfurchtem Gesicht und dem ausgemergelten Körper, obwohl beides leicht den irrigen Eindruck erwecken konnte, einen schon etwas tattrigen Rentner vor sich zu haben. Die Alten waren wirklich alt, vielleicht älter als die Zeit. José hüllte sich stets in Schweigen, wenn man ihn direkt danach fragte, und bisher war es uns auch nicht gelungen, auf Umwegen mehr darüber herauszufinden. Außer dass es von seiner Sorte noch ein paar andere gab, deren Bekanntschaft wir schon gemacht hatten – darunter auch zwei oder drei, vor denen man richtig Angst haben musste.
Die Alten, auch als Bewahrer bezeichnet, reisten durch die Tore von einer Epoche in die andere und gingen dort allen möglichen geheimnisvollen Aufgaben nach. Manchmal setzten sie dafür Zeitwächter ein, also Leute wie Sebastiano und mich, die man auch Beschützer nannte. Doch bestimmte Dinge erledigten sie lieber selbst, ohne je zu verraten, warum und für wen sie es taten.
Sie besaßen seltsame, magische Spiegel, in denen sie falsche Zeitläufe erkannten, und wo immer es ihnen nötig erschien, verhinderten sie mithilfe von uns Zeitwächtern unerwünschte Ereignisse, damit die von ihnen im Spiegel gesehenen Abweichungen nicht eintreten konnten.
Meist waren heimliche Manipulationen der Grund für solche Abweichungen. Ich hatte bereits mehrmals selbst erlebt, dass andere Alte dahintersteckten. Manche schienen sich die Zeit so zurechtbiegen zu wollen, wie es ihnen gefiel. Hin und wieder fragte ich mich, wie man wissen sollte, wer im Recht war. Sebastiano und ich waren bisher immer stillschweigend davon ausgegangen, dass José in diesen Dingen die letzte und verlässlichste Instanz war und dass alle anderen, die eigene Pläne verfolgten, mit unlauteren Motiven am Zeitstrom herumpfuschen wollten. Etwa, weil sie unbedingt die Welt beherrschen oder jemandem etwas heimzahlen wollten. Oder um zu beweisen, dass sie mehr draufhatten als andere. So genau hatte ich das bis jetzt nicht herausfinden können, denn José ließ sich auch zu den übrigen Alten kaum Informationen entlocken. Wir wussten nicht, woher sie kamen, wohin sie gingen und wer wessen Freund oder Feind war.
Was immer dahinterstecken mochte – in meinen Ohren klang es gar nicht gut, dass José hier noch ein paar Dinge zu erledigen hatte. Es hörte sich nach dunklen Verschwörungen und drohenden Gefahren an.
Sebastiano schien genauso zu empfinden, denn er setzte erneut zu einer Frage an, doch da öffnete sich knarrend die Kirchentür und der rothaarige Junge erschien.
»Ich bin so schnell gekommen, wie es ging.« Mit einem scheuen Blick auf mich zog er die Kappe von seinen nach allen Seiten abstehenden Locken. »Mylady.« Er verneigte sich ein wenig linkisch.
»Einfach bloß Anna«, sagte ich.
Trotz der dürftigen Beleuchtung sah ich, dass er rot wurde. Er nickte verlegen und trat von einem Fuß auf den anderen. »Ich bin Jeremy. Sie können mich Jerry nennen.«
Jerry trug derbe, aber saubere Kniehosen, eine etwas zu große Jacke aus blauem Tuch und ein weißes, ziemlich kunstvoll geschlungenes Halstuch. Anscheinend war es etwas zu eng gebunden, denn er zerrte daran herum und machte dabei keinen sonderlich glücklichen Eindruck.
José erhob sich. »Du kannst draußen bei der Kutsche warten. Ich bin in ungefähr fünf Minuten so weit.«
Jerry zerrte heftiger an seinem Halstuch. »Ich würde lieber hier drin auf Sie warten.«
»Warum?«
»Draußen ist eine Frau. Sie riecht nach Schnaps und sagt, sie heißt Molly. Sie meint, ich hätte ein verflucht elegantes Halstuch und sähe aus wie ein echter Gentleman.«
Sebastiano zog sofort die richtigen Schlüsse aus dieser leicht panisch klingenden Aussage. »Ich schätze, sie wollte dir nicht das Tuch vom Hals ziehen, sondern nur ein paar Schillinge aus deiner Börse.«
»Ich weiß, Sir. Aber ich würde lieber nicht wieder raus, solange sie da ist.«
»Das musst du auch nicht«, sagte ich. Es sollte tröstend klingen, kam aber als eine Art Bellen heraus, weil ich wieder husten musste. Mein Kopfweh war auch schlimmer geworden.
Ungeduldig wandte Sebastiano sich an José. »Anna muss zum Arzt. Lass uns endlich von hier verschwinden. Wenn Jerry ein Bote ist, kann er doch bei dem Sprung zusehen.«
»O ja! Ich möchte bitte dabei sein und es mir anschauen!« Jerrys Augen leuchteten vor Neugier.
José schüttelte den Kopf. »Ich kann das Fenster womöglich nicht öffnen, wenn du zusiehst, Jerry. Es ist nicht besonders
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