Zeitenzauber - Völler, E: Zeitenzauber
bereits darauf brannte, mich im Internet einzuloggen, um mit Sebastiano Kontakt aufzunehmen.
Daraus wurde jedoch vorerst nichts, denn mein iPod war kaputt. Er hatte das Bad im Kanal nicht überlebt.
Und die Maske war nicht mehr da.
Sie konnte unmöglich aus der Tasche gefallen sein, denn der Reißverschluss war geschlossen. Trotzdem war sie weg.
Ich versuchte gar nicht erst, es zu verstehen, sondern beschloss, es einstweilen einfach als Magie einzustufen. Stattdessen wandte ich mich mit einer anderen Frage an meine Mutter. »Was kannst du mir über das komplexe Feld der Paradoxa sagen?«
»Hast du Fieber?« Sie trat an mein Bett und legte mir die Hand auf die Stirn. »Hm, kommt mir ziemlich warm vor. Vielleicht sollten wir doch einen Arzt rufen.«
Ich beschloss, es bei nächster Gelegenheit einfach bei Wikipedia nachzulesen. Auf längere Erklärungen hätte ich mich sowieso nicht konzentrieren können. Bleierne Müdigkeit umfing mich. Das lag bestimmt daran, dass ich letzte Nacht nicht geschlafen hatte. Und davor die Nacht nur ganz wenig. Dann fiel mir ein, dass das ja nur für meine Zeit in der Vergangenheit galt. Nicht jedoch für die Gegenwart. Hatte ich da in der letzten Nacht auch zu wenig geschlafen? Ich dachte darüber nach, doch das machte mich noch müder. Also hörte ich auf damit und schlief einfach ein.
Ich verschlief den Rest des Tages, die ganze Nacht und den halben nächsten Vormittag, alles an einem Stück. Mama meinte hinterher, dass ich das zum letzten Mal als Baby gemacht hätte.
Zum Frühstück aß ich zehn Scheiben Toast mit Nutella, trank drei Tassen Kakao und genehmigte mir zum Nachtisch ein gigantisches Eis, das ich mir am nächsten Kiosk besorgte. Anschließend fragte ich meinen Vater, ob ich seinen Laptop benutzen dürfe, um kurz meine Mails zu checken.
Papa saß im Hotelzimmer am Schreibtisch und tippte auf seinem Notebook herum. »Ich bin gleich hier fertig, dann kannst du dran. Ich muss sowieso weg, zur Uni. Ein Gutachten abholen.«
Mein Herzschlag geriet ins Stolpern. »Zur Uni?«
Papa nickte. »Erinnerst du dich noch an das historische Dokument, von dem ich letztens beim Abendessen erzählte?«
Ich holte tief Luft. »Dasjenige, das Mr. Bjarnignokki in den Ruinen des Palazzo Tassini gefunden hat? Und das du dann zur Uni geschickt hast, damit es von der historischen Fakultät auf seine Echtheit hin untersucht wird?«
Papa schien erstaunt. »Das hast du dir aber gut gemerkt! Deine Mutter meinte, du würdest mir oft nicht richtig zuhören, aber damit liegt sie wohl daneben.«
»Ich will mit«, sagte ich.
»Wohin?«, fragte Papa verblüfft.
»Zur Uni.«
Eine Sekretärin bat uns auf Englisch, im Vorzimmer zu warten. Nach einer Weile kam sie zurück und brachte uns zum Büro des Professors, der Papa und mich freundlich begrüßte.
Die folgende Unterhaltung wurde ebenfalls auf Englisch geführt und war mit so vielen Fachausdrücken gespickt, dass ich nur Bahnhof verstand. Davon abgesehen war ich in Englisch ohnehin nie eine große Leuchte gewesen.
Mir sank das Herz. Ob es sehr schwierig sein würde, mich mit Sebastiano zu unterhalten?
Gerade überlegte ich, wie ich es am besten anstellen könnte, den Professor zu fragen, ob er zufällig einen wissenschaftlichen Assistenten namens Sebastiano kenne, als nach einem kurzen Klopfen die Tür aufging und zu meinem Erstaunen José hereinkam. Zum ersten Mal sah ich ihn in der Kleidung des einundzwanzigsten Jahrhunderts, ein ganz ungewohnter Anblick. Nur die Augenklappe war dieselbe wie früher.
Dann aber folgte die wahre Überraschung: Nach José betrat Sebastiano den Raum!
Um ein Haar wäre ich aufgesprungen und zu ihm gerannt. Ich konnte mich gerade noch beherrschen und so tun, als seien wir einander nie zuvor begegnet.
Der Professor stellte uns auf Englisch vor. »Das ist der Archivar unserer Fakultät, Messèr José Marinero de la Embarcación, und dieser junge Mann ist mein wissenschaftlicher Assistent, Messèr Sebastiano Foscari. Meine Herren, dies hier ist mein geschätzter Kollege Johannes Berg aus Deutschland und das ist seine Tochter Anna.«
Höfliches Händeschütteln folgte, während ich wie betäubt die ganze Zeit nur daran denken konnte, wie gut Sebastiano aussah und wie verknallt ich ihn war und dass Foscari ein wirklich schöner und klangvoller Name war. Und dass ich verrückt werden würde, wenn wir uns nicht gleich küssen konnten.
José legte das in einer Klarsichthülle steckende Dokument auf den Tisch.
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