Zeitfinsternis
ein paar Worten zucken seine Augen zu M ASCHINE . Er fängt an zu schreiben.
11. Juni: Notizbuch gefunden.
M ASCHINE sagt, es sei ein Sprung von dreißig Stunden gewesen.
In diesen dreißig Stunden habe ich die Wohnung verlassen.
M ASCHINE sagt, daß es von meiner Rückkehr nichts zu berichten gibt.
Er starrt die letzten sieben Worte an. Es wird ihm klar, daß er schon weiter als jetzt gewesen ist und auf dem Kissen gelegen haben muß, ohne sich darüber bewußt zu sein, was darunter lag.
Ihm kommt ein anderer Gedanke: Vielleicht hat M ASCHINE bis jetzt das Notizbuch an sich genommen und vielleicht sogar M ASCHINES Vergangenheit gewarnt, so daß die Zukunft verändert wurde.
Möglicherweise gibt es also überhaupt kein Notizbuch.
Ich habe eine Nacht darüber geschlafen, und als ich aufwachte, war mir alles klar.
Es mußte so aussehen, als würde ich etwas tun und nicht einfach nur darauf warten, bis das Mädchen gefunden ist. Verdun, hatte Raymond gesagt, also würde es Verdun sein. Ich hatte Anders, den Mann, der vorher dort gearbeitet hatte, nicht gekannt; aber Ken Lawrence, sein Nachfolger, war ein guter Freund… oder vielmehr ein so guter Freund, wie es die Umstände zuließen. Bei ihm würde ich wohnen. Entweder der Ritter aus dem Saarland oder die Leute von Napoleon konnten dann für mich das Mädchen finden, und Lawrence würde sie dann von den Beobachtern aus überprüfen. Dann würde ich das Mädchen nach unten zum Ersten bringen, und wir wären alle zufrieden. Das heißt –, alle, auf die es ankam.
Mit ein bißchen Glück würde ich schon bald eine Dauerstellung an der Oberfläche bekommen. Und das würde ,Adieu, Sonya’ bedeuten.
Ich öffnete die Augen, und da stand sie lässig und schwang ihre Brille seitlich vom Körper.
„Oh“, murmelte ich, „grüß dich.“ Ich überlegte mir, ob ich es ihr sagen oder gleich gehen sollte.
„Oh“, ahmte sie mich nach, „grüß dich.“ Ich erwartete, daß sie den großen Schirm anschalten oder zu ihrem eigenen Bett gehen würde. Statt dessen aber sagte sie: „Hast du die ganze Aufregung verschlafen?“
Ich blinzelte und rieb mir die Augen. „Welche Aufregung?“
Sie zuckte die Achseln und begann, sich herumzudrehen. „Nichts Besonderes. Krokodile und Nilpferde, Elefanten und Löwen, halt so das Übliche.“
„Was?“
Aber sie hatte sich herumgedreht, und so stand ich auf, um Raymond anzurufen. Ich hätte eigentlich wissen müssen, daß er um diese Zeit nicht mehr im Dienst war, aber er war trotzdem noch da. Ich hatte das, was Sonya gesagt hatte, noch immer nicht richtig aufgenommen; wahrscheinlich dachte ich, sie habe einen Witz gemacht oder so etwas.
Bevor ich sprechen konnte, sagte Raymond: „Tut mir leid, daß ich nicht angerufen habe. Ich habe zwar gesagt, ich würde mich melden, wenn etwas passiert, aber es ist soviel passiert…“
Ich konnte Sonya hinter mir spüren. Sie hatte das Zimmer nicht verlassen. „Was denn?“ fragte ich.
„Auf der ganzen Oberfläche sind Dinge erschienen. Wie damals die Androiden. Nur dieses Mal waren es Tiere. Nashörner, Schlangen, Elefanten, alles mögliche.“
Ich konnte ihn nur noch anstarren. Hinter mir ging Sonya weg. Sogar ihre Schritte drückten ihre Verachtung für mein Unwissen und meinen Unglauben aus. „Was ist passiert?“ fragte ich. „Was haben sie angestellt? Sie können doch nicht echt gewesen sein. Androiden?“
„Muß wohl. Ein paar Leute sind an Herzschlag gestorben. Tausende sind in ihrem dumpfen Hirn vor Angst völlig durcheinander.“ Dann sagte er noch, ohne Ausdruck oder Stimme zu verändern: „Ich habe das weggeschickt, was Sie brauchen.“
Nur halb an ihn gerichtet, nickte ich. Ich würde mir das zusammen mit den anderen Dingen abholen, die ich für meine Expedition brauchte. „Sonst noch etwas?“ Eine Routinefrage.
„Der neue Wächter, der Napoleon XV. zugeteilt war, ist umgebracht worden“, sagte Raymond, als ob das nicht im geringsten wichtig sei. Nach ein paar Sekunden dachte er wohl, dies sei alles, denn er schaltete das Gerät ab.
Lawrence war tot. Ken Lawrence, mein Freund.
„Ken Lawrence ist tot“, sagte ich zu Sonya, während ich in das andere Zimmer ging. Sie hatte ihn zwar nicht gekannt, aber ich war sicher, daß ich seinen Namen schon einmal erwähnt hatte.
„Ich weiß“, sagte sie. „Sie haben die Nachricht durchgegeben, während ich beobachtet habe.“
Das hieß, daß sie wissen mußte, wie es passiert war, aber ich fragte sie
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