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Zeitfinsternis

Zeitfinsternis

Titel: Zeitfinsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David S. Garnett
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ihr?“
    „Versuchen Sie doch mal, sie zu fragen. Sie sind alle tot.“
    „Tot?“ sagte ich und drehte mich um, um ihn anzusehen.
    „Die Androiden haben sie erwischt. Die Dorfbewohner waren unter den Zuschauern. Alle tot bis auf eine Ausnahme.“
    „Und wer ist das?“
    „Ein alter Mann, den sie zurückgelassen haben. Der ist aber inzwischen sicher tot; bald ist es vorbei.“
    „Aha. Und wo ist sie jetzt? Sie ist doch nicht umgekommen, oder?“
    „Sie ist vielleicht nach Westen gebracht worden“, sagte Raymond. „Wenn Sie warten wollen, kann ich das überprüfen.“
    Ich wartete, und er entfernte sich und überprüfte, was immer das hieß. Das aber war seine Sache, nicht meine. Über die technische Seite brauchte ich mir keine Gedanken zu machen.
    „Gestern abend war sie in Verdun“, teilte er mir schließlich mit.
    „Heißt das, daß sie jetzt nicht mehr da ist?“
    „Es scheint nicht so. Der neue Napoleon hat den Befehl gegeben, sie zu finden und zu ihm zu bringen.“
    „Tatsächlich?“ sagte ich, und in meinem Kopf fingen einige Rädchen an, sich zu drehen.
    „Tatsächlich“, sagte Raymond. „Und er ist nicht der einzige, der Interesse zeigt. Attila XXI. hat einen Ritter ausgeschickt, um sie zu suchen und ins Saarland zurückzubringen.“
    „Und wie kommt er damit voran?“
    „In ein paar Stunden ist er in Verdun.“
    „Ich brauche ein Bild von ihr, und sämtliche Information über sie, die Sie ausgraben können. Das gleiche gilt für den Ritter, den Attila ausgeschickt hat.“
    „Sir Guy von Angel.“
    „Über diesen Engel“, sagte ich, aber Raymond lächelte nicht einmal. „Außerdem über die Leute, die Napoleon ausschickt.“
    „Gut.“
    „Ich möchte über neue Entwicklungen informiert werden. Bevor ich weggehe, rufe ich Sie noch einmal an. Ich mache mich jetzt fertig.“
    Ich ging zurück, legte mich hin, starrte an die Decke, machte mir unloyale Gedanken und überlegte, wie ich die mir aufgetragene Aufgabe ausführen könnte.
    Das namenlose Mädchen selbst suchen? Obwohl ich noch nicht einmal wußte, wo sie war?
    Das fiel mir – wie es in dem alten Sprichwort heißt – nicht einmal im Traum ein.
     
     
    Gilbert trug ihn in westlicher Richtung aus Verdun. Er behielt denselben Kurs bei, den er schon gehalten hatte, seitdem er von Blancz aus aufgebrochen war. Als ihm das klar wurde und er sich überlegte, was der lothringische Soldat ihm erzählt hatte – und was dann anschließend mit diesem Soldaten passiert war –, schien ihm diese Richtung ebenso gut wie jede andere zu sein.
    Es war kurz vor Sonnenuntergang, als er sich zufällig umsah und seine Verfolger bemerkte. Er zweifelte etwas daran, ob er und der Soldat von der gleichen Person gesprochen hatten; aber irgendwie machte das nichts aus. Wenn das Mädchen tatsächlich in Verdun war, würde es genauso unwahrscheinlich sein, daß er sie dort fand wie hier, in der offenen Landschaft. Da er das offene Land der Stadt vorzog, war er dort, wo er war, besser dran.
    Er betrachtete die Gegend, um die grünen und braunen Flächen mit den Platzangst einflößenden Ruinen zu vergleichen, aus denen Verdun bestand. Er wußte zwar sofort, daß die Reiter hinter ihm her waren, verschnellerte aber seine bequeme Gangart nicht. Er war müde, und Gilbert war müde. Guy wußte genau, daß das Pferd niemals in Betracht ziehen würde, eine schnellere Gangart einzulegen, selbst wenn er es noch so eindringlich darum bitten würde.
    Sie waren wegen der Ereignisse in der Kneipe hinter ihm her: Wegen des Todes des Soldaten und nicht, weil er geflohen war, ohne seine Rechnung zu bezahlen. Er ritt nicht schneller, aber auch nicht langsamer. Er überließ es seinem Pferd, das Tempo zu bestimmen. Wäre es vielleicht denkbar, daß sie ihn gar nicht verfolgten, sondern an ihm vorbei weiterreiten würden? Er wußte, daß dies eine vergebliche Hoffnung war.
    Konnte er ihnen vielleicht erklären, daß es nur ein Unglücksfall gewesen war? Der Mann war ausgerutscht und in ein offenes Messer gefallen. Die Geschichte hörte sich selbst für Sir Guy unwahrscheinlich an. Aber so war es doch passiert, oder nicht? Es fiel ihm schwer, sich daran zu erinnern. Es war so, als versuchte er, eine verschwommene Gestalt in einem dichten Nebel auszumachen. Angenommen, Sie würden seine Version glauben – falls sie ihn überhaupt zu Wort kommen und nicht sofort umbringen würden – wie sollte er seine Flucht erklären? Bewies das nicht seine Schuld? Dutzende von Ideen,

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