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Zeitfinsternis

Zeitfinsternis

Titel: Zeitfinsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David S. Garnett
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Eiche. Sie war hohl, und von ihr aus wurden ständig Signale mit der Botschaft „Bleib weg!“, ausgeschickt, um zum Beispiel eine Person abzuschrecken, die vielleicht auf der Suche nach Feuerholz war. Verdun lag anderthalb Kilometer nördlich: es würde noch zwei oder drei Stunden dauern, bis es erwachte. Es war draußen bei weitem nicht so dunkel wie im schwarzen Tunnel. Es machte Spaß, untätig im Gras zu sitzen. Die Versuchung war groß, die Leute dort unten zu vergessen, Sonya zu vergessen, den Ersten zu vergessen. Ich könnte jetzt weggehen und nie wiederkommen, ohne daß mir etwas geschah.
    Früher war das nicht so gewesen. Deserteure wurden ohne Ausnahme aufgespürt und zurückgebracht. Sie wurden genötigt, die Falschheit ihres Handelns einzusehen. Oder sie wurden umgebracht, damit sie ihr überlegenes Wissen und ihre Fortschrittliche Ausrüstung – was auch immer sie mit nach oben nahmen – nicht für ihre subversiven Zwecke verwenden konnten: etwa den Menschen an der Oberfläche den mit Fallen gespickten Pfad des ‚Fortschritts’ zu zeigen, bevor sie dazu bereit waren, oder sich selbst zu Tyrannen zu machen. Genau dies war in Flandern geschehen, seit der jetzige ,Erste’ Erster Wächter geworden war, fügte der immer noch gleiche Teil meines Gehirns hinzu, und ich konnte das nicht abstreiten.
    Die Art, wie der Faden meiner Spekulationen mich führte, paßte mir nicht. Ich hatte einen Auftrag, und den würde ich – ausführen. Wenn ich ihn nicht ausführte und meine eigenen Wege ging, würde das den Ersten höchstwahrscheinlich ärgerlich machen – wenn er überhaupt Gefühle hatte. Es mußte einen Grund geben, warum er die Leute laufen ließ, die entweder zur Oberfläche oder in die äußeren Tunnels flüchteten, um dort ihr eigenes Leben zu leben. Vielleicht wollte er sichergehen, daß nur ein harter Kern von überzeugten Loyalisten bei ihm blieb. Bald aber würde niemand mehr übrig sein. Und was war mit dem oft irreparablen Schaden, den die Deserteure anrichteten?
    In diesem Augenblick stand ich noch unter Überwachung – in dem ,Baum’, aus dem ich gekommen war, befand sich ein Schirm. Er war da, um die Identität von jedermann überprüfen zu können, der zu nahe kam oder den Schacht benutzen wollte – wer aber wußte darüber Bescheid außer jemand von unten? Die einzigen Menschen, die näher kommen durften, immun gegen die gedankliche Abschreckung, waren Wächter und manchmal ein Beobachter, der nach oben gelassen wurde. Aber wenn die Bande aus Flandern sich entschloß, alle Ausgänge zu verstopfen und alle unten zu begraben? Dazu müßten sie eine Menge leisten, mehr als sie konnten. Trotz dieser extrem unwahrscheinlichen Möglichkeit, war ich auf jeden Fall froh, daß ich oben war.
    Erst, wenn man an die Oberfläche kam, wurde einem bewußt, wie eng es dort unten war. Wie sehr man gefangen war, daß man wie ein Maulwurf oder ein Wurm lebte statt wie ein Mensch. Wenn man unten war, durfte man daran nicht denken, sonst wurde man verrückt.
    Hier aber konnte ich atmen, konnte leben. Das hatte mir gefehlt. Ich würde das Risiko nicht eingehen, meinen Auftrag zu verpfuschen und zu der bescheidenen Tätigkeit des Beobachters zurückzukehren. Wenn es soweit kommen sollte, würde ich eher flüchten. Und wenn ich Erfolg hatte, müßte eigentlich eine feste Wächterstelle für mich drin sein – wie die Dinge zur Zeit liefen, dürften leere Stellen nicht knapp sein. Auf der anderen Seite gab es natürlich noch die Überlegung, daß diese Stellen auch nicht mehr so sicher und fest waren, wie sie es einmal gewesen waren. Ich konnte nicht alles haben.
    Ich saß da, dachte so vor mich hin, sah zu, wie es langsam hell wurde, wie die Sterne verblaßten, hörte die Vögel singen und fragte mich, welchen Zweck das alles hatte. Und warum Erster das Mädchen haben wollte, wer sie war, und wie ich es schaffen sollte, sie zu ihm zu bringen, wo doch niemand wußte, wo er war. Dinge dieser Art. Es nützte mir nichts, aber ich fragte mich das trotzdem.
    Schließlich, gebührend ländlich in meiner Aufmachung, machte ich mich auf den Weg in die Stadt.
    „Nichts zu berichten“, sagt er zu M ASCHINE , als sie Daten austauschen: elfter und zwölfter Juni.
    M ASCHINE sagt nichts mehr, und schließlich fragt Erster: „Die Frau aus dem Dorf…?“ Er macht eine Pause. „Hat sie einen Namen, damit ich sie nicht dauernd so nennen muß?“
    „Ich verfüge noch nicht über diese Information.“
    „Wieviel Tage

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