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Zeitgenossen - Gemmas Verwandlung (Bd. 1) (German Edition)

Zeitgenossen - Gemmas Verwandlung (Bd. 1) (German Edition)

Titel: Zeitgenossen - Gemmas Verwandlung (Bd. 1) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hope Cavendish
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schon fast dunkel, doch ich hatte keine Mühe, selbst auf große Entfernung jedes Detail der Vegetation zu erkennen. Meine Sehkraft hatte sich also auch verbessert. Ich hatte mittlerweile festgestellt, dass ich nur sehr wenig Schlaf benötigte, und einen Großteil der Nächte dazu genutzt, mit Arlingtons Hilfe meine Schachkenntnisse zu optimieren. Aber ich sollte jetzt erst erfahren, zu welchen Fertigkeiten ich noch in der Lage war.
    Zunächst zeigte mir der Viscount zu meiner großen Überraschung, dass ich ebenso wie er in Sekundenschnelle mühelos weite Distanzen überwinden konnte. Schnell zu rennen hatte bislang nicht zu meinen Stärken gezählt, zumal es ohnehin nicht als sehr damenhaft galt. Doch nun konnte ich schneller als ein mit der Armbrust abgeschossener Pfeil mein Ziel erreichen. Daher waren wir nur wenig später an einer Lichtung angelangt, an deren Ende ein kleines Rudel Damwild äste.
    Arlington wies auf das Rudel. »Bitte sehr, meine Liebe, ich lasse Euch den Vortritt.«
    Ich sah ihn zweifelnd an. »Aber wie soll ich das anstellen?«
    »Folgt einfach Eurem Instinkt.«
    Ich beobachtete das Rudel und spürte, wie der Durst wieder in meiner Kehle hochkroch. Einen kräftigen Damhirschen im Visier stürmte ich los. Kurz darauf hatte ich den Hirsch überwältigt und zu Boden gezwungen. Die restliche Herde stob aufgeschreckt davon. Ich begann mit meiner Mahlzeit, während der Viscount das Rudel verfolgte.
    Ausreichend gesättigt trafen wir schließlich wieder an der Kutsche zusammen.
    »Tz tz tz«, Arlington hob tadelnd eine Augenbraue, während er mich spöttisch musterte. »Als ich Euch empfahl, Eurem Instinkt zu folgen, hätte ich Euch wohl zusätzlich an Eure Essmanieren gemahnen sollen.«
    Ich sah an mir herab und musste ihm verärgert recht geben. Ich hatte mich mit dem Blut des Hirschen über Gebühr besudelt.
     
    Wie versprochen, durfte ich von nun an das Haus verlassen. Vorerst beschränkte sich Arlington darauf, abendliche Ausflüge mit mir zu unternehmen, da es mir im Schutze der Dunkelheit leichter fiel, mich unauffällig unter Menschen zu bewegen. Bereits wenige Abende nach unserem Jagdausflug nahm der Viscount mich mit zu einer Vorstellung ins Globe Theatre. Ich hatte immer schon mal dorthin gewollt, doch meine Eltern hielten es wahrscheinlich nicht für angemessen. Nun, mittlerweile brauchte ich mir wohl keine Gedanken mehr zu machen, was für mich angemessen war. Die Erinnerung an meine Eltern füllte mich allerdings mit leiser Wehmut.
    Im Globe wurde Viel Lärm um nichts aufgeführt und ich amüsierte mich königlich über die Zänkereien zwischen Benedikt und Beatrice. Natürlich hatte der Viscount Balkonplätze für uns reservieren lassen und ich trug ein neues Kleid aus bordeauxrotem Seidenbrokat mit einem enorm weiten Reifrock und lang herabhängenden Ärmeln. Einmal mehr hatte Arlington einen exquisiten Geschmack für Mode und ein untrügliches Gespür für meine Maße bewiesen.
     
    Die nächsten Tage vergingen wie im Fluge. Ich lernte, mich beim Jagen »gesitteter« zu verhalten, und wurde im Umgang mit Menschen immer entspannter. Zufrieden stellte ich fest, dass auch meine Augen mit der Zeit ihr stechend rote Farbe verloren und zunehmend einen schimmernden Bernsteinton angenommen hatten. Ich begann mich zu fragen, wie es weitergehen sollte. Arlington hatte so viel für mich getan und bislang nie eine Gegenleistung verlangt.
     
    Eines Abends bat er mich, alleine auf die Jagd zu gehen, da er sich »zur Abwechslung« mal wieder seinen Geschäften zuwenden müsste. Ein wenig enttäuscht akzeptierte ich die Bitte. Mir fiel auf, dass ich noch nie erfahren hatte, welcher Art von Geschäften der Viscount nachging. Überhaupt wusste ich recht wenig von ihm. Ich wusste nicht, woher er kam. Oder wie er wurde, was er war.
    Ich trug wie üblich eine Herren-Jagd-Tracht und die Kutschfahrt nach Richmond Park verlief wie immer reibungslos. Ich durchquerte den Park in kurzer Zeit mehrere Male, ohne auf eine Wildart zu stoßen, die meinen Appetit sonderlich reizte. Da mein Durst ohnehin nicht besonders groß war, beschloss ich zurückzukehren und die Jagd zu vertagen.
    Als ich Arlingtons Stadtvilla betrat, drang lautes Männergelächter aus dem Hauptsaal. Ich erkannte die Stimme des Viscounts, aber seltsamerweise kam mir auch die andere Stimme bekannt vor. Entgegen meiner sonstigen Gewohnheit öffnete ich die Tür zum Saal und erstarrte.
    Arlington befand sich in Gesellschaft eines Mannes, dessen

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