ZEITLOS - Band 2 (German Edition)
bisher wie ein Puzzlespiel erschienene, Begriffssystem. Büttner hatte sich beim ersten Treffen übergeben müssen, als die Rede auf annähernd zweihundert Todesopfer in der Stadt kam – das Sensibelchen mit den hektischen Gesichtsflecken.
…und es soll sogar eine Terrorzelle in unserer lieben Heimatstadt Kiel geben… Originalzitat Plätschner.
Wow! Ihr Herz begann wie wild zu hämmern. Sie nahm das Blatt Papier von der Pinnwand, strich es noch einmal glatt – dann begann sich vor ihrem geistigen Auge ein denkbares Szenario zu entwickeln.
Anfang April 2013; Eckernförde-Borby, Birtes Elternhaus
Der Winter nach dem Ereignis wurde hart für die Menschen und dauerte lang. Die ersten Schneeflocken fielen schon Mitte Dezember und bildeten seitdem eine geschlossene Schneedecke. Von dem Zeitpunkt an schaffte es die Quecksilbersäule des Thermometers am Tage selten, in den Plusbereich aufzusteigen. Die Böden waren gefroren und die Menschen litten unter der Kälte.
Gut waren diejenigen dran, die über Öfen und Heizungen verfügten, die sich noch mit Kohle oder Holz befeuern ließen. Wer Öltanks sein eigen nannte, bemühte sich, mit dem kostbaren Brennstoff sparsam umzugehen, denn es gab keinen nennenswerten Nachschub. Wer mit Gas heizte, war auch nicht besser dran, denn die Gasnetze funktionierten nur unzuverlässig, so dass vor allem für Familien mit kleinen Kindern, das ständige Ausfallrisiko große Gefahren barg.
Man improvisierte, rückte zusammen, scharte sich um die wärmenden Öfen und Kamine von Freunden, Nachbarn, Verwandten. So auch Stettners, die diesen kalten Winter im Haus von Brigitte und Werner Nicolai, den Großeltern der Kinder, verbrachten. Hier gab es in der Küche einen Hamburger Ofen, auf dem gekocht werden konnte, und im Wohnzimmer stand ein Kachelofen, der über Warmluftkanäle auch Wärme in das Obergeschoss leitete.
Birte war froh, dass es ihrem Vater gelang, den alten Dieselkombi wieder fahrbereit zu machen. Wie Opa Werner seinem Enkel Kim zum wiederholten Male geduldig erklärte, gelang das deshalb, weil der Motor noch nach dem Prinzip eines Saugdiesels arbeitete, der noch ohne Steuerungselektronik auskam. Durch dieses Vehikel bekam Opa Werner plötzlich große Aufmerksamkeit von allen Seiten, denn motorisierte Gefährte waren knapp und deshalb entsprechend gefragt.
Einer half dem Anderen. Birte bewunderte ihren Vater um dessen Improvisationstalent. Ein Tüftler war er ja schon immer gewesen, und in seinem Beruf als Elektriker hatte er während seines Arbeitslebens so manche erstaunliche Lösung für eigentlich unlösbare Problemstellungen gefunden. So erwachten unter seinen kundigen Händen viele Maschinen des täglichen Gebrauchs wieder zu neuem Leben. Das alte Fachwerkhaus im Stadtteil Borby war eines der ersten, in denen nach und nach wieder Herd, Kühlschrank und Waschmaschine funktionierten.
Auch das alte Wissen von Birtes Mutter wurde plötzlich wieder gebraucht. Sie wusste noch, wie man Marmelade kocht, Gemüse einweckt und mancherlei andere Kniffe, mit denen man Probleme des Alltages lösen konnte. Es war einfach unglaublich zu sehen, wie die beiden Senioren durch ihr Gebraucht-Werden zu neuem Schwung und Ansehen kamen. In den ganz kalten Nächten baten die Kinder um Wärmflaschen in ihren Betten, die Oma Brigitte liebevoll mit Handtüchern umwickelte, damit sich die Kleinen nicht die Füße daran verbrannten.
Die Nicolais beackerten, schon solange Birte denken konnte, einen Nutzgarten und zogen darin ihr eigenes Gemüse. In diesem Jahr profitierten sie alle im Übermaß davon, und zum ersten Mal zeigte sich Birte jetzt auch an den gärtnerischen Fähigkeiten ihrer Mutter interessiert und begann, all die Tipps und Tricks, die sie jetzt mit Interesse aufnahm, zu notieren. Als Kind hatte sie es gehasst, den Eltern im Garten zu helfen, nun sah sie das selbst gezogene Gemüse und die Früchte plötzlich in ganz neuem Licht. Früher hatte sie wie fast jeder alles in den Supermärkten kaufen können. Jetzt stellte sie fest, dass es einen großen Unterschied gab, zwischen dem eigen angebauten und zubereiteten Gemüse und den Produkten, die früher in den Supermärkten zu bekommen waren, die zwar optisch perfekt aussahen, geschmacklich jedoch bei weitem nicht an die selbst geernteten Erzeugnisse heran kamen.
In den Abendstunden, bevor die Kinder zu Bett gingen, saßen sie um den Ofen herum und lauschten den Geschichten und Märchen, die Oma oder Opa
Weitere Kostenlose Bücher