ZEITLOS (German Edition)
wurde.«
»Nein, gegen Geldverdienen ist nichts einzuwenden, solange es gerecht zugeht und nicht auf Kosten der Menschen. Seht euch doch um, heutzutage erfolgt jede zweite Neueinstellung im Niedriglohnsektor und mit zeitlich befristeten Arbeitsverträgen – das ist ein Skandal, der den Menschen jegliche Zukunftsperspektive raubt. Zeitarbeitsfirmen, befristete Arbeitsverträge und Minijobs gehören verboten, wenn ihr mich fragt. Der daraus entstandene Zeitgeist begann schon vor einigen Jahrzehnten, als die Manager damit begannen, nur noch auf die Shareholder Value ihrer Aktien zu schielen, und es für einen unternehmerischen Erfolg hielten, Kosten zu reduzieren, anstatt Geschäftsfelder auszubauen und Firmen wachsen zu lassen. Leben und Leben lassen!
Diese Maxime gilt leider schon lange nicht mehr und es macht mir das Herz schwer zu sehen, wie viele Menschen damit immer mehr an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden. Seht mich doch an. Ich habe noch immer keinen Job gefunden. Eine Firma wollte mir doch tatsächlich für einhundert Stunden Arbeit im Monat, immer auf Abruf und bereit jederzeit einzuspringen, achthundert Euro bezahlen. Davon kann man doch nicht leben!« Edelgard stockte, sie kämpfte mit den Tränen.
Birte kam ihr zu Hilfe. »Das stimmt allerdings, das ist eine echte Sauerei! Durch derartige Praktiken werden die Firmen immer reicher und die Arbeitnehmer immer ärmer. Schaut euch doch nur die Statistiken an! Um wie viel glaubt ihr, sind zum Beispiel die Unternehmensgewinne in den letzten zehn Jahren gestiegen – und um wie viel dagegen die durchschnittlichen Einkommen der Arbeitnehmer?«
»Im Verhältnis 1 : 6, zugunsten der Unternehmen! Du siehst, ich habe meine Hausaufgaben gemacht. Ich habe mich auch mit den anderen Themen unserer letzten Diskussion befasst und ich muss sagen, Edelgards und deine Argumente stechen!« Edelgard klappte der Unterkiefer herunter, das war das erste Mal, dass Lars ihren Thesen nicht Kontra gab, sondern ihr sogar beipflichtete. Lars ging sogar noch einen Schritt weiter, als er verkündete, dass er dadurch aufgerüttelt, nunmehr daran arbeite, eine eigene Unternehmens-Philosophie zu formulieren, nach deren Grundsätzen in seinem Unternehmen fortan gehandelt werden solle. Ab sofort würde er in seinem Betrieb einige wesentliche Dinge ändern.
Es zeigte sich, dass er sich auch mit der Studie zum Bürgergeld ausgiebig befasst hatte. Als er das ungläubige Erstaunen der Runde bemerkte, sagte er nur: »Wisst ihr, als ich mich mit diesen Themen befasst habe, wurde mir klar, dass das ein ganz neues Verkaufsargument werden könnte, um sich von den Produkten der Konkurrenz abzuheben. So ähnlich wie Fairer Kaffee , so stelle ich mir eine neue Shopkette vor, die mit Qualitätsargumenten, fairen Lohnbedingungen und transparenten Zutaten den kritischen Verbraucher anspricht. Ich werde in der ersten Phase ein Sechstel meiner Shopkette neu aufstellen und testen, wie das angenommen wird. Na, was sagt ihr dazu?«
Markus sah seinen Freund zweifelnd an. »Meinst du wirklich, dass das erfolgreich wird? Ich glaube eher, dazu bräuchten wir eine gänzlich neue Gesellschaft. Alle wollen doch nur eines – billig kaufen! Auf der anderen Seite beklagen wir uns dann darüber, dass die Arbeitsbedingungen immer unmenschlicher werden. Nein, wenn ihr mich fragt, dann ist die Globalisierung Schuld an der Misere des heutigen Systems. Die ist einfach zu schnell und ungebremst über die Bühne gegangen.«
»In gewisser Weise stimme dir zu, aber vergiss nicht, es kommt noch etwas hinzu: Nämlich der total transparente Markt, der durch das Internet erst möglich wurde. Wer will, kann sich in Minuten den günstigsten Preis auf dem Markt anzeigen lassen. Die Betriebswirtschaftliche Lehre sagt ja einiges zum idealen Preis, also dem Preis, bei dem die höchstmögliche Absatzmenge multipliziert mit der Marge, zum größtmöglichen Gewinn führt. Das nennt man Grenzertragskurve , lässt sich alles ausrechnen.«
»Wann hast du Betriebswirtschaft studiert?«
»Simon, man muss sich als erfolgreicher Unternehmer auf vielen Gebieten schlau machen und Bücher lesen kann ich, wurde mir sogar auf der Realschule beigebracht«, sagte Markus.
»So meine ich das ja nicht. Ich meine, die Gesellschaft müsste neue Verhaltensweisen lernen, wenn sie die Bedingungen, die zur Zeit auf dem Markt herrschen, wirklich ändern will.«
»Wisst ihr, was ich glaube?« Wieder mischte sich Birte in die Diskussion ein. »Ich
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