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Zeitlos

Zeitlos

Titel: Zeitlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Finnings
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wäre, den sie seit langem gesehen hätte. Es handele sich dabei um METROPOLIS, einem alten UFA-Stummfilm aus den Zwanziger Jahren, dessen restaurierte Originalfassung erst kürzlich in Berlin im Kino und bei ARTE im Fernsehen gezeigt worden sei. Der Film war damals zigmal neu geschnitten und verkürzt worden. Jahrzehntelang fehlten viele Teile des Originals, die jetzt überraschend gefunden und für diese digitale Vollrestaurierung verwendet wurden.
    Das Ergebnis liege nun vor ihnen. Dieser Film erscheine ihr wie eine Antwort auf ihre Fragen. »Seht ihn euch in Ruhe zuhause an, vielleicht empfindet ihr dann genauso wie ich. Mein Gefühl sagt mir ganz deutlich, dieser Stummfilm hat mit erschreckender Aktualität schon vor fast einhundert Jahren die Zeit, in der wir heute leben, vorweg genommen.«
    Corona de Luz kam an diesem Tag nicht mehr zum Einsatz. Sie fühlten sich alle viel zu aufgewühlt, um mit der metaphysischen Welt in Kontakt zu treten.
    ***
     
    Markus war, nachdem er zusammen mit Birte und Kerstin den Film angesehen hatte, bis ins Mark berührt. Drückte dieser Film doch präzise das aus, was er selber schon seit langem undeutlich empfunden hatte. Seine bis dahin nur schwammig ausgebildeten Gefühle erhielten durch den Film schärfere Konturen, bekamen ein Gesicht, und seine schmerzhafte Ahnung wurde zu beklemmender Gewissheit.
    Er sah in die Gesichter der beiden Frauen. Auch sie wirkten betroffen. Ohne dass sie etwas sagten, wusste er, dass sein Empfinden anders gelagert war als ihres. Intuitiv fühlte er bei Kerstin Traurigkeit, gepaart mit Resignation, bei seiner Frau Nachdenklichkeit.
    Davon konnte bei ihm keine Rede sein; er war nicht traurig, nicht nachdenklich, nicht resigniert – er fühlte Wut. Während sich sein Wahrnehmungs-Fokus auf dieses Gefühl konzentrierte, es zuließ, fühlte er der Wut nach… Sie gab ihm Kraft, Mut, Sinnhaftigkeit.
    Als Birte nach oben ging, um nach den Kindern zu sehen, sah er deren Gesichter vor seinem geistigen Auge. Nein, er würde nicht zulassen, dass Kim und Svenja in solche Verhältnisse hineinwuchsen. Er würde nicht zulassen, dass andere über ihr Schicksal entschieden… niemals!
    Kerstin sah ihm beunruhigt in die Augen. »Hey, Markus, was ist? Geht’s dir nicht gut? Du siehst ganz verstört aus.« Wie aus unendlichen Weiten kehrte sein Blick zurück ins Hier und Jetzt. Er bekam seine Züge wieder unter Kontrolle. »Nein nichts – alles in Ordnung! Es, es war der Film, der mich plötzlich mit ganz alten Empfindungen in Berührung brachte. Ich musste an Kim und Svenja denken, an ihre mögliche Zukunft, und weißt du was? Ich sah mich plötzlich mit einer unsagbaren Wut konfrontiert, die mich erschreckt. Kannst du das verstehen?«
    »War das nicht immer so, in allen Zeitaltern? Die regierende Klasse hat schon immer das Volk unterdrückt, hinters Licht geführt, ausgebeutet. Das alles ist nicht neu und erschreckt mich nicht. Es scheint zu den Grundzügen menschlichen Verhaltens zu gehören. Wären wir denn sicher, dass wir nicht selber in solchen Positionen und Ämtern ähnliche Verhaltensmuster an den Tag legen würden?«
    »Niemals!«
    Birte kam die Treppe herunter. »Sag niemals nie! Worum geht es?«
    »Ach, wir reden über den Film. Dein Mann ist zerknirscht, findet, dass der Film erschreckend aktuell ist. Ich sagte, dass ich mich über die Auswüchse menschlichen Verhaltens in bestimmten Situationen nicht mehr aufrege. Es scheint zu unserem gängigen Verhaltensrepertoire zu gehören, Macht ausüben zu wollen – wenn wir können. Es wird immer Unterdrücker und Unterdrückte geben. Wie Rolf aus dem Chor immer zu scherzen beliebt: Es gibt nichts besseres, als im Kapitalismus Kapitalist zu sein…
    Der Grund, warum ich euch den Film gebrannt habe, ist ein anderer. Ich wollte zeigen, dass es diese Sorge, diesen Kampf der hellen und der dunklen Mächte schon immer gab. Manchmal kommt es mir vor, als würden sich auf dieser Weltenbühne die immer gleichen Geschichten erzählt, nur von ständig wechselnden Darstellern verkörpert.«
    »Na, das sehe ich aber anders! Menschen haben einen freien Willen – haben immer eine Wahl. Man darf nicht sagen, ich kann ja doch nichts ändern . Jeder einzelne von uns kann immer etwas ändern, aber es erfordert Mut und Überzeugung, um gegen erstarrte Strukturen ankämpfen zu wollen. Ich fand den Film auch sehr beunruhigend, aber toll gemacht. Wenn man bedenkt, mit welch einfachen Mitteln man in den zwanziger Jahren schon

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