Zeitoun (German Edition)
mit anderen Unternehmern sprach und Zeitoun nicht weiterempfahl? Die Folgen konnten verheerend sein. Für Zeitoun war Arbeit wie eine Pyramide, an der zuverlässig Tag für Tag gebaut werden musste.
Er lief schneller. Er würde sich verspäten, aber wenn er rannte, bestand die Chance, dass er nicht mehr als fünfzehn Minuten zu spät kam. Es war August, und es war schrecklich schwül. Nach gut einer Meile im Laufschritt war er in Schweiß gebadet, als plötzlich ein Pick-up neben ihm bremste.
»Was soll denn das werden?«, fragte eine Stimme. Ohne das Tempo zu verlangsamen, drehte Zeitoun den Kopf, um zu sehen, wer das war. Er dachte, irgendein Schlauberger wollte sich über den Mann lustig machen, der mit einem Fahrrad über der Schulter die Straße entlanglief. Doch es war sein Boss, Charlie Saucier.
»Ich bin auf dem Weg zur Arbeit«, sagte Zeitoun. Er lief noch immer; rückblickend hätte er da schon stehen bleiben können, aber er hatte seinen Rhythmus gefunden und lief weiter, während der Pick-up neben ihm hertuckerte.
Charlie lachte. »Werfen Sie Ihr Rad auf die Ladefläche.«
Während der Fahrt sah Charlie zu Zeitoun hinüber. »Wissen Sie, ich bin seit dreißig Jahren in dieser Branche, und ich glaube, Sie sind der beste Mann, den ich je hatte.«
Sie waren auf dem Weg zur Baustelle, und Zeitoun hatte es endlich geschafft, sich zu entspannen, weil er wusste, dass er an diesem Tag nicht gefeuert werden würde.
»Ich hab da einen«, fuhr Charlie fort, »der sagt, er kann nicht zur Arbeit kommen, weil sein Wagen nicht anspringt. Ein anderer kommt nicht, weil er verschlafen hat. Verschlafen! Noch ein anderer wurde von seiner Frau vor die Tür gesetzt oder so. Also kommt er nicht zur Arbeit. Ich hab zwanzig oder dreißig Beschäftigte, und zehn von denen kommen nur zur Arbeit, wenn es ihnen in den Kram passt.«
Sie hielten an einem Stoppschild, und Charlie sah Zeitoun lange an. »Und dann Sie. Sie haben die perfekte Entschuldigung. Sie haben bloß ein Fahrrad, und das Fahrrad hat einen Platten. Aber Sie tragen das Fahrrad auf dem Rücken. Außer Ihnen kenne ich keinen, der so etwas machen würde.«
Von da an ging es für Zeitoun in großen Sprüngen vorwärts und aufwärts. Innerhalb eines Jahres hatte er genug Geld gespart, um sich einen eigenen Lieferwagen zu kaufen. Zwei Jahre später war er sein eigener Herr und hatte ein Dutzend Beschäftigte.
Gegen Mittag fuhr Zeitoun zum Islamic Center auf der St. Claude Avenue – eine bescheiden wirkende Moschee und ein Gemeindezentrum in der Innenstadt. Zeitouns Geschwister folgten ihrem Glauben auf ganz unterschiedliche Arten, und er war vielleicht der Frommste von ihnen, denn er ließ keines seiner täglichen Gebete aus. Der Koran verlangte von Muslimen, fünfmal am Tag zu beten: einmal zwischen Morgendämmerung und Sonnenaufgang, dann wieder kurz nach Mittag, am Nachmittag, bei Sonnenuntergang und schließlich anderthalb Stunden nach Sonnenuntergang. Wenn er um die Zeit der Nachmittagsgebete in der Nähe seines Hauses war, fuhr er rasch dorthin, doch ansonsten betete er, wo er gerade war, auf jeder Baustelle. Er hatte inzwischen überall in der Stadt gebetet, auf Baustellen, in Parks und zu Hause bei Freunden, aber freitags fuhr er immer hierher, um sich mit Freunden zur Dschum’a zu treffen, einer rituellen Versammlung aller muslimischen Männer der Gemeinde.
Drinnen nahm er zunächst die Wudu’ vor, die von allen Gläubigen verlangte Waschung. Dann begann er sein Gebet:
Im Namen Allahs, des Allerbarmers, des Barmherzigen:
Alle Lobpreisung gebührt Allah, dem Herrn der Welten.
Dem Allerbarmer, dem Barmherzigen.
Dem Herrscher am Tage des Gerichts.
Dir allein dienen wir und Dich allein flehen wir um Hilfe an.
Leite uns den rechten Weg,
den Weg derer, denen Du gnädig bist,
nicht derer, denen Du zürnst,
und nicht derer, die in die Irre gehen …
Hinterher rief er Kathy an.
»Er wird bald in Kategorie 3 hochgestuft«, sagte sie.
Kathy war zu Hause und verfolgte das Wetter online.
»Kommt er zu uns?«, fragte er.
»Die sagen, ja.«
»Wann?«
»Ist nicht sicher. Vielleicht Montag.«
Zeitoun nahm das nicht ernst. Montag bedeutete für ihn nie. Das war, so bemerkte er, schon oft passiert. Die Stürme wüteten stets über Florida, richteten verheerende Schäden an und flauten dann irgendwo über Land oder über dem Golf von Mexiko ab.
In Kathys Telefon ertönte das Anklopfsignal. Sie verabschiedete sich von Zeitoun und wechselte die Leitung. Es war Rob
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