Zeitreise in Technicolor
Kanadas. Gut, sollten sie fahren. Er nahm ein paar Stunden frei – selbstverständlich mit einem Geschäft verbunden –, doch das sollte ihn nicht daran hindern, sich zu vergnügen. So richtig entspannen konnte er sich erst, wenn der Film fix und fertig war, aber das Ende ließ sich immerhin absehen, und er hatte jetzt seit Monaten wie ein Irrer geschuftet. Der erste Punkt der Tagesordnung sah ein Luxus-Menü bei Chasen vor – das war er sich schuldig. Außerdem hatte es wenig Sinn, sich vor neun Uhr in die Pilzgrotte zu begeben.
Kalifornien und das zwanzigste Jahrhundert kamen ihm unwirklich vor. Alles schien zu schnell zu gehen, die Farben wirkten zu grell, und der Gestank der Auspuffgase bereitete ihm Kopfschmerzen. Puh!
Das Abendessen – mit Cocktails am Anfang, Brandy danach und Champagner in der Mitte – richtete ihn wieder auf, und er fühlte sich ganz wohl, als ihn das Taxi kurz nach neun vor dem Klub absetzte. Er ließ sich nicht einmal von der giftgrünen Tür mit den roten Schädeln und überkreuzten Knochen abschrecken.
»Achtung«, stöhnte eine Grabesstimme, als er die Tür aufstieß. »Wer die Pilzgrotte betritt, tut es auf eigene Gefahr. Achtung ...« Die Tonbandstimme schwieg, als er die Tür schloß und sich die schlecht beleuchtete, mit schwarzem Samt bespannte Treppe hinuntertastete. Ein Vorhang aus Leuchtknochen war die letzte Barriere vor dem Sanktum des Klubs. Er war schon früher hier gewesen, deshalb beeindruckte ihn die Dekoration nicht. Sie hatte ihn auch beim erstenmal nicht beeindruckt, da sie Ähnlichkeit mit einer Geisterbahn auf dem Rummelplatz hatte. Grüne Lichter flackerten, Gummispinnweben hingen in den Ecken, und die Stühle hatten die Form von riesigen Knollenblätterpilzen. Er hatte den Saal ganz für sich allein.
»Eine Bloody Mary«, bestellte er bei dem Kellner, der auf Vampir machte. »Ist der Spiderman schon hier?«
»Ich glaube, er ist im Ankleideraum«, murmelte das Geschöpf hinter seinen Plastikfängen hervor.
»Sagen Sie ihm, daß ich ihn sprechen möchte. Barney Hendrickson von den Climactic-Studios.«
Spiderman Spinneke kam noch vor dem Cocktail – eine hagere, schwarzgekleidete Gestalt mit einer riesigen dunklen Brille. »Na, noch am Leben, Opa«, sagte er und ließ seine dürren Finger an Barneys Hand entlanggleiten. »Was macht der Guckkasten?«
»Hält Leib und Seele zusammen. Sagen Sie, Spinne, ist es wahr, daß Sie schon in ein paar Filmen mitgewirkt haben?«
»Ich habe die Musik für einen Supermist namens ›Rocker-Festival‹ geschrieben, aber ich hoffe, daß die Leute das bald vergessen. Weshalb die Frage? Sie interessieren sich doch nicht für den armen alten Spiderman?«
»Könnte sein, Spinneke, könnte sein. Würden Sie die Musik für einen Film schreiben und die mit Ihrer eigenen Gruppe aufnehmen?«
»Schon möglich, Opa. Aber das kostet Zeit, und wir haben Verpflichtungen.«
»Keine Angst wegen der Zeit, ich arrangiere alles so, daß sie keine einzige Show versäumen. Ich dachte, Sie hätten den richtigen Sound für meinen Film – eine aufregende Wikingergeschichte. Sie haben schon von den Leuten gehört?«
»Ja doch. Haarige Buhbuhmänner, die andere Leute mit ihren Hackebeilen zurechtschnitzen.«
»So ungefähr. Primitive, starke Musik. Sie besitzen eine Art Blechhorn, und das brachte mich auf Sie. Volle Besetzung und ein wilder Rhythmus.«
»So richtig cool.«
»Glauben Sie, daß Sie das schaffen?«
»Keine Frage.«
»Gut. Hier ist der Vorschuß.« Barney blätterte fünf Zwanziger auf den Tisch. Spidermans Finger krabbelten über das schwarze Tuch und deckten die Scheine zu. »Holen Sie Ihre Leute, dann fahren wir gleich zum Studio. In einer Stunde sind Sie wieder zurück.« Was sie in dieser einen Stunde alles erledigen würden, verriet Barney nicht.
»Ist nicht drin. Doody und ich machen bis elf Klamauk. Da kommen die anderen. Wir spielen von elf bis drei durch. Vorher geht nichts, Opa.«
Der Cocktail floß Barney glatt durch die Kehle, und ein Blick auf die Uhr überzeugte ihn, daß es keinen Sinn hatte, umzukehren und um drei nochmals herzukommen. Schließlich mußte er den Film erst am Montagvormittag abliefern. Spiderman glitt in den Hintergrund des Klubs, und um zehn telefonierte Barney mit dem Professor und bat ihn, um drei Uhr nochmals zu kommen. Dann ging er zurück an den Tisch und entspannte sich, so gut man sich bei einer schmetternden Tuba, einer Posaune und einem verstärkten Schlagzeug entspannen
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