Zellen fahren gerne Fahrrad
hineinragen und so ganz bestimmte Informationen aufnehmen, verarbeiten und weiterleiten können. Auf diese Art und Weise hat die E-Zelle sozusagen stets einen Fühler im Blutstrom und weiß genau, wer sich im Blut gerade so tummelt und was sich dort abspielt.
Der andere Fühler ist auf die Gefäßwand und die Organe ausgerichtet. Mit ihren Rezeptoren erkennt die E-Zelle etwa das – wie im Furchgott-Experiment verabreichte – Acetylcholin.
Dockt es an, reagiert das Gefäß mit einer entsprechenden Weitung. Aktivieren Stresshormone die Rezeptoren der E-Zellen im Rahmen einer Stressreaktion, führt dies gegensätzlich zu einer Gefäßverengung.
Je besser der Nachrichtenaustausch zwischen E-Zelle, Gefäßwand und Körperzelle funktioniert, desto effektiver kann sie ihren Aufgaben nachkommen.
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Alles auf NO-Kommando
Die Funktion der Endothelzelle ist elementar verknüpft mit dem zentralen Botenstoff der Zelle, dem Stickstoffmonoxid (NO), in diesem Buch »E-Faktor« genannt. Ohne die ausreichende, aber auch gezielte lokale Verfügbarkeit des E-Faktors kann die Endothelzelle oder E-Zelle all die beschriebenen Funktionen gar nicht oder nicht optimal ausüben.
Die wissenschaftlichen Erkenntnisse über das Molekül NO sind aus vielerlei Hinsicht bedeutend. Über viele Jahre war es für Furchgott und sein Forscherteam schwierig gewesen, NO überhaupt biochemisch nachzuweisen, weil es ein sehr flüchtiges Gas ist, das seine Wirkung auf die glatte Gefäßmuskulatur nur ca. eine Sekunde lang ausüben kann, bevor es entweder abgebaut oder eingefangen wird. Außerdem folgt das NO einem ganz eigenen Prinzip der Informationsübermittlung.
Ungefilterte Wirkung
Normalerweise werden Informationen im Körper über Eiweiße, sogenannte Proteine, vermittelt. Diese Proteine haben ein bestimmtes Aussehen oder eine spezielle Konformation (eine spezifische räumliche Anordnung) und können nur an extra für sie zur Verfügung stehende Rezeptoren oder Andockstellen Informationen weitergeben. Dieses Schlüssel-Schloss-Prinzip zwischen Eiweiß und Eiweiß-Rezeptor regelt zum Beispiel die Informationsvermittlung zwischen Insulin und Insulinrezeptor oder Adrenalin und Adrenalinrezeptor.
Aufgrund der simplen Struktur von NO gibt es keinen spezifischen Rezeptor, und die Wirkung wird ungefiltert an die direkte Umgebung weitergegeben. Sie ist also ausschließlich lokal und allein über die Konzentration von NO geregelt. 9 Somit ist das Gleichgewicht aus Produktion und Abbau von NO entscheidend für die Wirkung in den Gefäßwänden.
NO ist außerdem wegen seiner überaus geringen Größe nicht an Kanäle in Zellwänden gebunden, sondern kann sie ungehindert passieren. Dabei beträgt die Geschwindigkeit, mit der sich das Molekül bewegt, ca. 400 Meter pro Sekunde, der Informationsfluss verläuft also extrem schnell. Aufgrund dieser hohen Geschwindigkeit kann NO trotz seiner scheinbar geringen Lebensdauer von nur einer Sekunde permanent zwischen Zellkompartimenten hin und her diffundieren und seine Wirkung ausüben.
Eine Sekunde erscheint auf den ersten Blick sehr kurz, im Vergleich zu anderen Strukturen ist es aber eine recht
lange Zeit – die Informationsvermittlung in Nervenzellen beispielsweise verläuft deutlich schneller. Und immerhin legt ein Sprinter in einer Sekunde 10 Meter zurück.
Von der Grundlagenforschung zur klinischen Anwendung
Basierend auf den Erkenntnissen der Grundlagenforschung zum Wechselspiel von NO und Gefäßreaktion konnte sich im Laufe der Zeit ein neues therapeutisches Anwendungsfeld in der Medizin entwickeln. So werden heute – wie damals zur Zeit Alfred Nobels – Herzpatienten mit Angina Pectoris (im Volksmund Brustenge oder Herzschmerz) im akuten Fall und auch bei chronischer Erkrankung mit Nitratspray, Nitratinfusion und -tabletten behandelt.
Bei fortbestehendem Lungenhochdruck bei Neugeborenen oder bei Patienten mit Lungenkomplikationen während der künstlichen Beatmung kann das NO-Gas direkt zur Erweiterung der Lungenstrombahn verwendet werden. Außerdem wird das Wissen auch in anderer Form genutzt, nämlich beim Potenzmittel Viagra als Hemmer beim NO-Abbau, was eine Weitstellung der Gefäße fördert.
Der E-Faktor im Zentrum
Der E-Faktor hat die Kommandofunktion über all die beschriebenen Prozesse im Gefäßsystem und ist übergeordnete Instanz, wenn es darum geht, unseren Organismus möglichst lang biologisch jung zu halten. Der E-Faktor ist der Stoff in unserem Organismus, der uns
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