Zelot
jüdischen Kult mit seinen seltsamen Gesetzen und seiner so unnachgiebigen Besessenheit mit der rituellen Reinheit vielleicht nicht – «Die Juden betrachten alles, was wir heilig halten, als gottlos», schrieb Tacitus, «während sie alles zulassen, was wir verabscheuen» –, aber sie duldeten ihn dennoch.
Verblüffend waren für die Römer jedoch nicht nur die seltsamen Riten der Juden oder ihre strikte Einhaltung der religiösen Gesetze, sondern vor allem ihr in den Augen der Römer völlig unverständliches Überlegenheitsgefühl. Die Vorstellung, dass ein unbedeutender semitischer Stamm in einer fernen Ecke des mächtigen Römischen Reiches eine Sonderbehandlung beim Kaiser einforderte und tatsächlich auch bekam, war für viele Römer einfach unfassbar. Wie konnten sie es wagen, ihren Gott für den einzigen Gott im Universum zu halten? Wie konnten sie es wagen, sich von allen anderen Völkern abzusondern? Was glaubten diese rückständigen und abergläubischen Stammesangehörigen denn, wer sie eigentlich waren? Der stoische Philosoph Seneca war nicht der Einzige in der römischen Elite, der sich fragte, wie es hatte passieren können, dass in Jerusalem «die Besiegten den Siegern Gesetze gegeben haben».
Für die Juden allerdings war dieses Gefühl der Einzigartigkeit kein arroganter Stolz. Es war ein direktes Gebot eines eifersüchtigen Gottes, der keine ausländische Präsenz in dem Land duldete, das er für sein auserwähltes Volk vorgesehen hatte. Deshalb hatte Gott auch, als die Juden 1000 Jahre zuvor zum ersten Mal einen Fuß in dieses Land setzten, befohlen, jeden Mann, jede Frau und jedes Kind, auf die sie stießen, niederzumachen, jeden Ochsen, jede Ziege und jedes Schaf zu schlachten und jedes Gehöft, jedes Feld, jede Erntefrucht und alles Lebendige ohne Ausnahme niederzubrennen, um so sicherzustellen, dass das Land nur jenen gehören würde, die diesen einen Gott und keinen anderen anbeteten.
Gott befahl den Israeliten: «Aus den Städten dieser Völker jedoch, die der Herr, dein Gott, dir als Erbbesitz gibt, darfst du nichts, was Atem hat, am Leben lassen. Vielmehr sollst du die Hetiter und Amoriter, Kanaaniter und Perisiter, Hiwiter und Jebusiter der Vernichtung weihen, so wie es der Herr, dein Gott, dir zur Pflicht gemacht hat.» ( 5 Mos 20 , 16 – 17 )
Die Bibel berichtet, dass die Juden sich erst im Lande ansiedeln durften, nachdem die jüdische Heere alles, «was Atem hat», in den Städten Libna und Lachisch und Eglon und Hebron und Debir, im Bergland und im Negeb, in den Ebenen und an den Hängen völlig vernichtet hatten – erst nachdem wirklich jeder einzelne vorherige Bewohner dieses Landes ausgerottet war, «wie es der Herr, der Gott Israels, befohlen hatte» (Jos 10 , 28 – 42 ).
Und doch fand sich eben dieser Stamm, der so viel Blut vergossen hatte, um das Gelobte Land von allen fremden Elementen zu reinigen, damit er es dann im Namen seines Gottes regieren konnte, jetzt unter der Knute einer imperialen heidnischen Macht wieder, gezwungen, die Heilige Stadt mit Galliern, Spaniern, Römern, Griechen und Syrern – alle Fremde, alle Heiden – zu teilen, verpflichtet, in Gottes eigenem Tempel Opfer darzubringen für einen römischen Götzenanbeter, der mehr als 1000 Kilometer entfernt lebte.
Wie hätten Helden früherer Tage auf eine solche Demütigung und Herabsetzung reagiert? Was würden Josua oder Aaron oder Pinhas oder Samuel den Ungläubigen antun, die das Land befleckten, das Gott seinem erwählten Volk vorbehalten hatte?
Sie würden das Land in Blut baden. Sie würden die Köpfe der Heiden spalten, ihre Götzen verbrennen, ihre Frauen und Kinder abschlachten. Sie würden die Götzenanbeter erschlagen und ihre Füße im Blut ihrer Feinde baden, genau wie der Herr es befohlen hatte. Sie würden den Gott Israels anrufen, auf dass er auf seinem Streitwagen aus den Himmeln hervorbräche, die sündigen Völker zertrample und die Berge mit seinem Zorn erschüttere.
Und was den Hohepriester anging – den Unglückseligen, der Gottes erwähltes Volk für ein paar Münzen und das Recht, in seinen mit Edelsteinen besetzten Gewändern herumzutänzeln, verraten hatte –, schon seine bloße Existenz war eine Beleidigung Gottes. Sie lag wie ein Schandfleck auf dem ganzen Land.
Sie musste ausgelöscht werden.
Kapitel zwei
König der Juden
In den Jahre des Aufruhrs, die der römischen Besetzung Judäas folgten, als Rom in einen kräftezehrenden Bürgerkrieg
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