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Zementfasern - Roman

Zementfasern - Roman

Titel: Zementfasern - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verlag Klaus Wagenbach <Berlin>
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benutzt wurde, auch wenn es kein Asbest war.
    Pionier zu sein hatte seine negativen Seiten und seine Privilegien. Governo galt als einer, der im Krieg gewesen war, einer, dem der Geruch von Schießpulver am eigenen Leib haften geblieben war. Aber das waren nur die Reste des Krokydoliths, des Blauasbests, den er seit zehn Jahren Tag für Tag mit der Harke in große Säcke einsammelte. Das Privileg bestand darin, jeden Zentimeter, jeden einzelnen Menschen und alle Regeln dieses Stücks Italien außerhalb von Italien zu kennen.
    »Man lebt ein bisschen beengt hier, aber bald werden die von der Ternitti euch ein Haus geben.«
    »Ein großes Haus?«, fragte der kleine Salvatore, der Sohn von Onkel Peppe.
    »Ein Haus aus Holz in der Nähe der Fabrik, klein, aber warm.«
    Mimi ignorierte den scharfen Ton, mit dem Governo das Adjektiv »warm« hervorhob.
    Das Haus aus Glas wurde im kommenden Winter Mimis Zuhause, und die Kälte begleitete sie wie eine Strafe. Sie drang ihr in die Knochen, brannte auf ihren Handrücken, die Zehen platzten auf wie reife Früchte. Auf der Nase wuchsen Frostbeulen, kleine gelbliche Blasen voller Blut, die ihr das Atmen schwermachten. Mama Rosanna arbeitete als Schneiderin im Akkord, wie viele andere Frauen in der Glasfabrik. Mimi half ihr, die Säume umzunähen und die Rückkehr der Männer von der Ternitti angenehmer zu gestalten. Jahre später sollte Mimi die Zeit des Glases wie die Frühgeschichte vorkommen, als die Männer draußen auf Jagd gingen, eine urzeitliche, primitive Jagd jedoch, von der man jeden Tag mit mehr Verletzungen zurückkehrte, Wunden vom Krallenhieb wilder Tiere, Kratzern, die keiner sehen konnte: Sie stammten von der Ternitti, Furchen im Fleisch, die die Membran der Eingeweide offenbarten.
    Bevor sie emigrierten, hatte Mimi einen langen, unvergesslichen Sommer erlebt. Wie Blitze aus einem unerreichbaren Jenseits kehrten in den eiskalten Nächten und an den langen Nachmittagen, die nie zu Ende gingen, der Abdruck von den warmen, spitzen Felsen auf der Serra und in Tricase Porto wieder, und ihr Duft, ein kostbarer Balsam des nachmittäglichen Meeres.
    In der Ternitti arbeitete, wer in der Glashütte hauste, darunter auch zwei neunzehnjährige Burschen, die ein Jahr Wehrdienst hinter sich hatten; einer der beiden hatte sich in Mimis Herz einen Platz verschafft. Sie sah ihn jeden Tag in der Menge der gebeugten Köpfe, die am Eingang des Lagers ankamen. Er war der Dunkelste, eine Haut wie ein Inder, er kam auf sie zu, eine schwarze Maulbeere inmitten der roten, und sein Blick verlor sich in der Weite des großen Raumes, aber sie war noch klein, wohlgestaltet, doch zu klein und fern, um für einen jungen Mann sichtbar zu sein, von den Frostbeulen entstellt und unter Lumpen begraben, damit die laue Körperwärme nicht verflog. »Sieh mich an«, flehte sie, aber sein Blick ging über sie hinweg.
    Nachts teilte Mimi das Bett mit Mama Rosanna, und oft waren die Augenblicke kurz vorm Einschlafen die schönsten des Tages, wenn der starke, lauwarme Atem der Mutter, der ihr glühendheiß erschien, über ihr Gesicht strich wie ein Hauch Schirokko. Oft spürte Mimi mitten in der Nacht, wenn sich durch die Zuckungen des Schlafs die Kleider lockerten, die warme, nackte Haut der Beine der Mutter an ihren bloßen Füßen. Dieser Abschnitt lebendigen Fleisches, Teil eines vertrauten Körpers, den sie nie beachtet hatte, stieg in den Winternächten wie eine Eroberung am Horizont der Alltäglichkeit auf. Dieses Stück Haut weckte in ihr ein Zugehörigkeitsgefühl ohne eindeutigen Ursprung, das in den geheimsten Winkeln ihres Inneren verborgen blieb. Die Tochter dieses Streifens warmen Fleisches zu sein, gab ihr Sicherheit und ein Gefühl der Befriedigung.
    Mama Rosanna bewahrte noch den alten Zauber der Zwanzigjährigen, einen Zauber, der Gestalt annahm in ihren Bewegungen und im Mienenspiel ihres länglichen, rechteckigen Gesichts, ein Gesicht wie das der Heiligen, die die Wände von Santa Sofia schmückten: Heilige mit großen Gesichtern und einem kleinen Körper, aber schön, strahlend, mit klar gezeichneten Zügen wie eine feine Temperamalerei auf Wänden aus Kalk und rohem Stein.
    Abends kam pünktlich und reichlich das Bier. In den Ausschänken rund um die Ternitti war es leicht zu bekommen, es kostete wenig, und die Männer der Fabrik tranken es, weil es »Kraft zurückbringt«. Das Bier landete in einem kupfernen Topf, dort tunkte man das Brot ein und aß zu Abend; während es für die

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