Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care
die Krümmung deines rechten Unterarms hatte gereicht, und die Ärzte waren durchgedreht und hatten sofort das Jugendamt angerufen. Dr. Rosenblad hatte uns schon vor Jahren ein Attest gegeben, das uns vor einer Festnahme bewahren sollte, denn viele Eltern von Kindern mit OI werden der Misshandlung beschuldigt, wenn die Krankengeschichte nicht bekannt ist – und Charlotte hatte ihn immer im Wagen dabei, nur für alle Fälle. Doch an diesem Tag, nachdem wir wegen der Reise an so vieles hatten denken müssen, war der Brief vergessen worden, und so wurden wir auf dem Revier verhört.
»Das ist Blödsinn!«, brüllte ich. »Meine Tochter ist in der Öffentlichkeit gestürzt. Mindestens zehn Leute können das bezeugen. Warum holen Sie sich die nicht? Haben Sie hier in der Gegend denn nichts Besseres zu tun?«
Ich hatte abwechselnd guter und böser Cop gespielt, doch wie sich herausstellte, wirkt das nicht, wenn man es mit einem fremden Kollegen zu tun hat. Es war Samstag und fast Mitternacht, und das wiederum hieß, dass es vermutlich bis Montag dauern würde, bis die Situation von Dr. Rosenblad geklärt werden konnte. Ich hatte Charlotte nicht mehr gesehen, seit wir in die Streifenwagen gestiegen waren, und in Fällen wie diesen pflegten auch wir die Eltern voneinander zu trennen, damit sie sich keine gemeinsame Lüge ausdenken konnten. Das Problem war nur, dass die Wahrheit ziemlich verrückt klang. Ein Kind rutscht auf einer Serviette aus und trägt einen mehrfachen Bruch des Oberschenkelknochens davon? Man muss nicht wie ich schon neunzehn Jahre bei der Polizei sein, um so etwas verdächtig zu finden.
Ich stellte mir vor, wie Charlotte nach und nach die Fassung verlor. Nicht bei dir sein zu können, während du Schmerzen leidest, würde sie förmlich zerreißen, und dass Amelia Gott weiß wo war, machte die Sache noch schlimmer. Ich dachte immer wieder daran, wie Amelia es früher gehasst hat, im Dunkeln einzuschlafen, und wie ich mitten in der Nacht in ihr Zimmer geschlichen bin, um das Licht auszuschalten. Hast du Angst? , habe ich sie einmal gefragt, und sie hat geantwortet: Nein. Ich will nur nichts verpassen. Wir haben in Bankton, New Hampshire gelebt, einem kleinen Ort, wo jeder jeden kannte und man im Vorbeifahren zur Begrüßung angehupt wurde, wo die Kassiererin im Lebensmittelladen einen den Einkauf mitnehmen ließ, wenn man mal die Kreditkarte daheim vergessen hatte und versprach, später wiederzukommen. Das heißt nicht, dass wir nicht auch die miesen Seiten des Lebens kannten – Cops sehen hinter die weiß getünchten Fassaden und polierten Türen und entdecken dabei allerlei versteckte Albträume: hoch geschätzte Lokalgrößen, die insgeheim ihre Frauen prügeln; ausgezeichnete Studenten mit Drogenproblemen; Lehrer mit Kinderpornografie auf dem Rechner. Aber als Polizeibeamter war es stets mein Ziel, all diesen Dreck auf dem Revier zu lassen, damit du und Amelia in seliger Unwissenheit aufwachsen könnt. Doch was passiert stattdessen? Ihr müsst zuschauen, wie die Polizei von Florida in die Notaufnahme kommt und eure Eltern mitnimmt, und Amelia wird in eine Pflegefamilie verbracht. Welche Narben würde dieser lausige Versuch eines Urlaubs wohl bei euch hinterlassen?
Nach der zweiten Befragungsrunde hatte der Kollege mich allein gelassen. Ich kannte das. Das war seine Methode, mich mürbe zu machen, weil er dachte, er könne mich später mit ein paar neu gewonnenen Erkenntnissen in Widersprüche verwickeln und zum Geständnis bringen.
Ich fragte mich, wo Charlotte wohl inzwischen war, in einem anderen Verhörzimmer oder vielleicht sogar in einer Zelle? Wenn sie uns über Nacht hierbehalten wollten, brauchten sie einen Haftbefehl, und für den hatten sie einen guten Grund. Es war bei ihnen in Florida zu einer neuen Verletzung des Kindes gekommen, und diese in Verbindung mit den alten, die auf den Röntgenbildern sichtbar waren, war ein ausreichendes Indiz, bis irgendjemand unsere Version der Geschichte bestätigen würde. Aber zum Teufel damit – ich wollte nicht länger warten. Du und deine Schwester, ihr beide brauchtet mich.
Ich stand auf und hämmerte an den Spiegel, durch den der Detective mich wahrscheinlich beobachtete.
Er kam wieder in den Raum. Dürr, rothaarig, pickelig … der war noch nicht einmal dreißig. Ich wog 225 Pfund – alles Muskeln – und war 1,90 m groß. Zuletzt hatte ich dreimal in Folge bei den jährlichen Fitnesstests die inoffizielle Reviermeisterschaft im
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