Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care
stützte die Ellbogen auf den Tisch. »Wir waren gerade erst im Park angekommen, und da war eine Eisdiele nicht weit vom Eingang. Willow hatte Hunger; also beschlossen wir, dort eine kleine Pause einzulegen. Meine Frau ist Servietten holen gegangen; Amelia hat sich an den Tisch gesetzt, und Willow und ich haben uns angestellt. Ihre Schwester hat etwas durchs Fenster entdeckt, und Willow lief los, um es sich anzusehen. Dann ist sie gefallen und hat sich die Oberschenkelknochen gebrochen. Sie leidet unter einer Krankheit mit Namen Osteogenesis imperfecta, die ihre Knochen extrem brüchig macht. Etwa eins von zehntausend Kindern wird damit geboren. Was zum Teufel wollen Sie sonst noch wissen?«
»Das ist genau die gleiche Erklärung, die Sie mir schon vor einer Stunde gegeben haben.« Der Detective warf seinen Stift auf den Tisch. »Ich dachte, Sie wollten mir sagen, was wirklich passiert ist.«
»Das habe ich. Ich habe Ihnen nur nicht gesagt, was Sie hören wollten.«
Der Detective stand auf. »Sean O’Keefe«, sagte er, »Sie sind verhaftet.«
Gegen sieben, Sonntag früh, lief ich auf dem Gang des Polizeireviers auf und ab. Ich war wieder ein freier Mann und wartete auf Charlotte. Der diensthabende Sergeant, der mich freigelassen hatte, ging verlegen neben mir her. »Ich bin sicher, Sie verstehen das«, sagte er. »Angesichts der Umstände war das unsere Pflicht.«
Ich knirschte mit den Zähnen. »Wo ist meine ältere Tochter?«
»Das Jugendamt ist mit ihr bereits auf dem Weg hierher.«
Aus professioneller Höflichkeit hatte man mir erzählt, dass Louie, unser Dispatcher in Bankton, nicht nur meine Stellung als Polizeibeamter bestätigt, sondern auch erzählt habe, du littest an einer Krankheit, bei der man sich leicht die Knochen bricht. Trotzdem hatte dich das Jugendamt erst freigeben wollen, wenn das auch von einem Mediziner bestätigt worden wäre. Also betete ich die halbe Nacht lang – muss allerdings gestehen, dass ich deine Freilassung weniger Jesus als vielmehr deiner Mutter zuschreibe. Charlotte hatte oft genug Law & Order gesehen, um zu wissen, dass sie nach ihrer Verhaftung das Recht auf einen Anruf hatte, und zu meiner Überraschung hat sie diesen Anruf nicht genutzt, um mit dir zu sprechen. Stattdessen hat sie Piper Reece angerufen, ihre beste Freundin.
Ich mag Piper, ganz ehrlich. Und erst recht, seit sie Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt hat, um Mark Rosenblad an einem Wochenende um drei Uhr morgens an den Apparat zu bekommen, wo sie ihn dann auch noch überzeugen konnte, in dem Krankenhaus in Florida anzurufen. Im Übrigen verdanke ich Piper sogar meine Ehe; schließlich haben sie und Rob mich mit Charlotte bekannt gemacht. Doch wenn man das alles mal beiseitelässt, ist Piper … ein wenig zu viel. Sie ist klug, vertritt energisch ihre Meinung und hat die meiste Zeit recht, was einen schon frustrieren kann. Wenn ich mich mit deiner Mutter gestritten habe, ging es meistens um etwas, das Piper ihr in den Kopf gesetzt hatte. Dabei mögen Forschheit und ausgeprägtes Selbstbewusstsein Piper ja gut anstehen, aber bei Charlotte wirken sie irgendwie fehl am Platze … sie kommt mir dann vor wie ein Kind, das mit den Sachen seiner Mutter Verkleiden spielt. Deine Mutter ist eher ein ruhiger Typ, der einem Rätsel aufgibt. Ihre Stärken merkt man nicht gleich, sie springen einen nicht an. Wenn man einen Raum betritt, fällt einem die breit lächelnde Piper mit ihrem blonden Kurzhaarschnitt und den ewig langen Beinen als Erstes auf, wogegen Charlotte diejenige ist, über die man noch lange nachdenkt, nachdem man wieder gegangen ist. Diese unverfrorene Direktheit macht Piper zwar zu einer anstrengenden Person, aber genau damit hat sie es geschafft, mich aus der Zelle in Buena Vista rauszuholen. Also habe ich ihr nach der kosmischen Gesamtrechnung schon wieder etwas zu verdanken.
Plötzlich ging eine Tür auf, und ich sah Charlotte: benommen, blass, die braunen Locken schon halb aus dem Haargummi. Sie funkelte den Beamten an, der sie begleitete. »Ich zähle jetzt bis zehn, und sollte Amelia dann nicht hier sein, ich schwöre …«
Gott, ich liebe deine Mutter. Wenn es darauf ankommt, denken wir beide vollkommen gleich.
Dann bemerkte sie mich. »Sean!«, rief sie und warf sich in meine Arme.
Ich wünschte, du wüsstest, was es heißt, das fehlende Stück von einem selbst zu finden, das eine Stück, das dich stärker macht. Für mich ist Charlotte genau das. Sie ist klein, nur 1,58 m, aber in
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