Zerbrechlich - Zerbrechlich - Handle with Care
Warum stimmte das, im physischen Sinne, nicht für meine Tochter?
In letzter Zeit kam mir immer wieder ein und dieselbe Erinnerung: Eine Schwester auf der Säuglingsstation schaute dich mit deinen winzigen Bandagen an. »Sie sind noch jung«, sagte sie und drehte sich zu mir um. »Sie können noch eins haben.«
Ich konnte mich nicht mehr erinnern, ob das unmittelbar nach deiner Geburt oder einige Tage später gewesen war, auch nicht, ob sonst noch jemand da gewesen war, der das hätte hören können. Es war auch denkbar, dass ich mir das unter der Wirkung meiner Schmerzmittel nur eingebildet hatte. Hatte ich die Säuglingsschwester nur in meiner Fantasie heraufbeschworen, damit sie laut aussprach, was ich insgeheim dachte? Das ist nicht mein Baby. Ich will das, was ich mir gewünscht habe.
Ich hörte, wie sich ein Vorhang öffnete, und trat in den freien Beichtstuhl. Dann schob ich das Fenster zwischen mir und dem Priester auf. »Vergib mir, Vater, denn ich habe gesündigt«, sagte ich. »Meine letzte Beichte war vor drei Wochen.« Ich atmete tief durch. »Meine Tochter ist krank«, sagte ich. »Sehr krank. Und ich habe einen Prozess gegen die Ärztin angestrengt, die mich während der Schwangerschaft betreut hat. Ich tue das wegen des Geldes«, gab ich zu, »aber um das zu bekommen, muss ich sagen, dass ich meine Tochter abgetrieben hätte, hätte ich früher von der Krankheit erfahren.«
Es folgte ein bösartiges Schweigen. »Lügen ist eine Sünde«, sagte der Priester schließlich.
»Ich weiß … aber das ist nicht der Grund, warum ich heute zur Beichte gekommen bin.«
»Was ist dann der Grund?«
»Wenn ich diese Dinge sage«, flüsterte ich, »fürchte ich, es könnte die Wahrheit sein.«
Marin
September 2008
Die Auswahl der Geschworenen war eine Kunst und gleichzeitig reine Glücksache. Jeder hatte seine eigene Theorie dazu, wie man die Geschworenen für einen Fall am besten aussucht, aber ob die Theorie stimmte, wusste man erst nach dem Urteil. Und ich muss dazu anzumerken, dass man nie wirklich bestimmte, wer in der Jury sitzen, sondern nur, wer nicht dort sitzen würde. Das war ein feiner Unterschied – und ein kritischer.
Es gab einen Pool von zwanzig Geschworenen für die Vorvernehmung. Charlotte rutschte im Gericht neben mir nervös auf ihrem Stuhl herum. Ironischerweise war ihr nur durch das Arrangement mit Sean möglich, anwesend zu sein; andernfalls hätte sie sich um eine Betreuerin für dich kümmern müssen, und das würde während des Prozesses noch schwierig genug werden.
Wenn ich mich auf einen Prozess vorbereitete, hoffte ich normalerweise auf einen bestimmten Richter; doch diesmal wusste ich nicht genau, wen ich mir wünschen sollte. Eine Richterin, die selbst Kinder hatte, würde vielleicht Mitleid mit Charlotte haben – oder die Klage als absolut widerlich empfinden. Ein konservativer Richter lehnte vielleicht Abtreibungen aus moralischen Gründen ab – könnte aber auch der Meinung der Verteidigung zustimmen, dass nicht der Arzt zu entscheiden hatte, welches Kind zu schwer behindert war, um geboren zu werden. Zu guter Letzt hatte das Losglück uns Richter Gellar beschert, den Richter, der am längsten dem Obersten Gericht von New Hampshire angehörte, und der – wenn es nach ihm ginge – auch auf dem Richterstuhl sterben würde.
Der Richter hatte die potenziellen Geschworenen bereits zur Ordnung gerufen und ihnen den Fall in Grundzügen vorgestellt: den Begriff »ungewollte Geburt«, die Klägerin und die Beklagte, die Zeugen. Er hatte sie gefragt, ob jemand die Parteien oder Zeugen in diesem Fall kenne, ob sie schon von dem Fall gehört hatten und ob sie persönliche oder organisatorische Probleme hatten, bei diesem Fall als Geschworene zu dienen – wie zum Beispiel einen eingeklemmten Ischiasnerv oder fehlende Kinderbetreuung, die es ihnen unmöglich machen würden, durchgehend an dem Prozess teilzunehmen. Mehrere Leute hoben die Hand und erzählten ihre Geschichte: Sie hatten sämtliche Artikel über den Fall gelesen; sie hatten von Sean O’Keefe einen Bußgeldbescheid bekommen; sie mussten die Stadt verlassen, um mit ihrer Mutter deren fünfundneunzigsten Geburtstag zu feiern. Der Richter hielt eine kurze vorbereitete Ansprache und erklärte, niemand solle sich persönlich beleidigt fühlen, wenn er nicht gewählt werde, und er danke allen, dass sie gekommen seien. Dabei möchte ich wetten, dass die meisten dieser potenziellen Geschworenen am liebsten wieder
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