Zerfetzte Flaggen
Großmastes, wehte der lange Wimpel wie eine rote Schlange. Der Wind blieb stetig, trotzdem bestand keine Möglichkeit, dem anderen Schiff den Weg abzuschneiden.
Quinn flüsterte: »Was wird der Admiral tun? Wir sind nicht im Krieg mit Frankreich.«
Fähnrich Forbes flitzte über das Deck, wie ein Kaninchen sprang er über Tauwerk und sonstige Hindernisse.
Er grüßte und meldete: »Der Kommandant läßt Ihnen bestellen, Sir, Sie möchten den französischen Leutnant nach achtern bringen.
«
Bolitho nickte. »Gut.«
Forbes genoß offensichtlich die Situation. Er stand mit den Mächtigen des Schiffes auf dem Achterdeck und war noch zu jung und zu aufgeregt, um die heraufziehende Gefahr zu sehen.
Quinn sagte: »Ich hole ihn.«
Bolitho schüttelte den Kopf und lächelte zugleich über die Absurdität.
Er mußte den französischen Offizier bringen, weil Cairns im Augenblick zu tun hatte und alle anderen zu jung waren. Die Etikette mußte gewahrt werden, dachte er, selbst noch am Tor zur Hölle.
Er fand den Franzosen unten im Orlopdeck, wo er mit dem Schiffsarzt vor dem Lazarett saß, während Thorndikes Assistenten den Operationstisch herrichteten und die Instrumente bereitlegten.
Der Arzt fragte nervös: »Was ist los, zum Teufel?« Er blickte seine Helfer an. »Das kostet nur Zeit und macht meine Instrumente schmutzig. Die haben wohl nichts zu tun dort oben!«
Bolitho ging nicht darauf ein, sondern sagte zu Contenay: »Der Kommandant möchte Sie sehen.«
Zusammen stiegen sie durch das untere Batteriedeck hinauf, wo fast völlige Dunkelheit herrschte, da alle Pforten geschlossen waren, und nur die Lunten einen trüben Schein auf ihre unmittelbare Umgebung warfen.
Contenay fragte: »Gibt es Ärger, mon amil«.
»Ein Schiff. Eins von Ihren.«
Seltsam, dachte Bolitho, aber es fiel ihm leichter, mit dem Franzosen zu sprechen, als mit dem Arzt.
»Mon Dieu!« Contenay nickte grüßend einem Posten zu und fuhr fort: »Dann muß ich mir wohl jedes Wort überlegen.«
An Deck war es jetzt erheblich heller als vorher. Bolitho schien es fast ein Wunder, daß sich die Sicht während der kurzen Zeit seines Weges zum Lazarett und zurück so verändert hatte.
Auf dem Achterdeck meldete Bolitho: »M’sieu Contenay, Sir.«
Pears blickte auf. »Kommen Sie hier herüber.« Er schritt zu den Netzen, wo Coutts und der Flaggleutnant ihre Gläser auf das andere Schiff gerichtet hielten.
Bolitho warf einen raschen Blick hinüber. Er hatte sich nicht getäuscht, es war ein Linienschiff und ein stolzer Anblick. Es fuhr hart angebraßt mit Steuerbordhalsen, die Bramsegel und das Großsegel waren bereits aufgegeit, während es jetzt, leicht nach Backbord überliegend, die Einfahrt ansteuerte.
»Der Gefangene, Sir.« Pears blickte ebenfalls zu dem anderen Schiff hinüber.
Coutts ließ sein Glas sinken und musterte den Franzosen kühl.
»Ach ja! Das Schiff dort, Monsieur, kennen Sie es?«
Contenays Mundwinkel zogen sich nach unten, als sei er im Begriff, die Antwort zu verweigern. Dann zuckte er resignierend mit den Schultern und erwiderte: »Es ist die Argonaute. «
Ackerman nickte. »Das dachte ich mir, Sir, ich habe sie vor Guadeloupe gesehen. Schönes Schiff, vierundsiebzig Kanonen.«
Pears sagte zu Contenay: »Sie fährt ebenfalls unter Konteradmiralsflagge.
« Er sah den Franzosen fragend an.
Dieser antwortete: »Ja, unter Contre-Amiral Andre Lemercier.«
Coutts musterte ihn. »Sie waren einer seiner Offiziere, habe ich recht?«
»Ich bin einer seiner Offiziere, Monsieur!« Contenay blickte zu dem anderen Zweidecker hinüber. »Das ist alles, was ich Ihnen sagen kann.«
Pears explodierte: »Benehmen Sie sich, Sir! Wir brauchen nicht mehr zu wissen. Sie haben des Königs Feinden geholfen, eine ungesetzliche Rebellion begünstigt, und jetzt erwarten Sie, wie ein unbeteiligter Zuschauer behandelt zu werden!«
Coutts schien überrascht von diesem Ausbruch. »Gut gesprochen, Kapitän, aber ich glaube, der Leutnant weiß genau, in welcher Lage er ist.«
Bolitho hörte gebannt zu und hoffte nur, Pears werde ihn nicht wegschicken. Ein privates Drama rollte da ab, das jeden anderen ausschloß und das doch ihrer aller Zukunft entscheiden konnte.
Cairns trat zu Bolitho und sagte leise: »Ein Problem für den Admiral, Dick. Ist es ein wirkliches Patt, oder werden wir dem Franzosen unseren Standpunkt klarmachen?«
Bolitho betrachtete Coutts jugendliches Profil. Zweifellos bedauerte er jetzt seinen Flaggenwechsel. Die mit
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