Zerfleischt - Der ultimative Thriller
Louis.«
»Ich weiß nicht, was du meinst, Earl. Ich verstehe es nicht.«
»Erlernte Reaktion, kultureller Instinkt, mein Freund. Diese Dinge bilden die Grundlage des Verhaltens jeder Kreatur. Man muss einem beibringen, einen Papierflieger zu bauen, aber keiner muss einem zeigen, wie man eine Waffe herstellt. Du weißt schon. Es ist instinktiv. Genau wie die Mordlust.
»Sie bauen Waffen, Earl … Speere, Keulen, alles Mögliche. Und weißt du was? Sie funktionieren. Ich hätte gedacht, dass es eine gewisse Kunst ist, einen Speer herzustellen, der geworfen werden kann und sogar sein Ziel trifft. Das ist mit Technik verbunden. Man kann kaum glauben, dass diese Wilden das so schnell durchschauen konnten.«
»Das mussten sie nicht, Louis. Sie wussten es instinktiv.« Earl gab ihm ein kleines Beispiel: »In Frankreich im Rhone-Tal bauten Biber jahrhundertelang ihre Dämme und Bauten, bis zur Antike, genauso, wie es Biber überall taten. Aber dann wurden die Biber aufgrund des Aufkommens des europäischen Fellhandels beinahe bis zum Aussterben gejagt. Nur ein paar blieben übrig. Mehrere Jahrhunderte lang keine Dämme, keine Bauten. Dann weitete die französische Regierung den Schutz für eine kleine Biberpopulation im Rhone-Tal aus. Ihre Anzahl wuchs über die Jahrzehnte. Dann begannen die Biber zum ersten Mal in mehreren Hundert Jahren Dämme und Bauten in Nebenflüssen der Rhone zu bauen. Dämme und Bauten bauen erfordert eine sehr komplexe Gemeinschaftsleistung … dennoch musste keiner den Bibern beibringen, wie es ging – sie wussten es. Und diese Dämme in der Rhone waren vollkommen identisch mit denen, die von den amerikanischen und kanadischen Bibern gebaut wurden. Kultureller Instinkt bei der Arbeit.
Und was unsere Freunde da draußen angeht, Louis, niemand muss ihnen beibringen, was ihre Vorfahren gewusst haben. Es ist die Erinnerung der Menschheit. Sie wissen, wie man überlebt. Wie man tötet, Waffen herstellt, einen Kadaver ausweidet und enthäutet. Kultureller Instinkt.«
Während Earl im Bad verschwand, fand Louis Mike Sonderbergs Waffenschrank. Er zerbrach das Glas mit seinem Hammer und sortierte die Waffen im Mondschein. Er selbst war kein wirklicher Schütze, also schnappte er sich eine Waffe, mit der er vertraut war. Eine Kammerverschluss-Winchester-Federgewicht .30-06. Sein Vater hatte so eine besessen. Er hatte damit als Junge sehr oft geschossen. Er lud das Magazin mit Springfield-Patronen und stopfte noch mehrere davon in seine Taschen.
»Wir sehen lieber zu, dass wir hier wegkommen, Earl«, sagte er, als der alte Mann zurückkam.
»Wohin?«
»Erst mal einfach raus hier.«
Sie gingen zusammen auf die Veranda. In den Straßen war es ruhig. Aber sofort überfiel Louis in der Magengegend ein ungutes Gefühl und es reagierte nicht auf so unbedeutende Dinge wie Vernunft oder Logik. Das war ein Ur-Gefühl. Es spürte den bevorstehenden Untergang.
»Ich glaube, wir sind hier draußen nicht alleine«, sagte Earl.
In den Hecken bewegte sich etwas. Louis zögerte nicht einmal: Er nahm sein Gewehr, zog den Bolzen zurück und schoss. Außer dem Echo seines Schusses tat sich nichts. Keine Bewegung.
»Lass uns von hier verschwinden«, sagte er.
Louis hielt das Gewehr hoch und führte Earl auf den Gehsteig. Er wusste, dass es nicht sicher war, im Haus zu bleiben, und hier draußen war es auch nicht sicherer. Sie befanden sich in der Nähe und er konnte sie riechen: der Gestank von öligen Tierhäuten und nassen Hunden.
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite regte sich etwas. Louis zögerte noch. Hinter einem geparkten Auto bewegte sich etwas. Er schoss und traf die Windschutzscheibe.
Earl drehte sich zu ihm um, machte den Mund auf, um etwas zu sagen … aber dann grunzte er nur und stolperte nach vorne. Ein angespitzter Lanzenschaft ragte aus seinem Rücken. Sein Mund füllte sich mit Blut. Er stieß ein gluckerndes Geräusch aus und ging in die Knie.
Louis feuerte einen weiteren Schuss ab.
Er hörte ein Zischen.
Er drehte sich um, machte sich schussbereit und dann sah er nur noch Sternchen. Das Gewehr fiel aus seiner Hand. Als er die Augen öffnete, lag er flach auf dem Rücken auf dem Gehsteig. Er hörte Earl röcheln. Aber das beachtete er nicht. Denn jemand stand über ihm. Er roch nach Urin, nach Fleisch und nach Scheiße.
Zuerst dachte er, dass es ein Monster ist. Irgendein schrecklicher, laufender Kadaver, der sich seinen Weg aus einem schlammigen Grab freigekämpft hatte. Aber das
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