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Zero Gravity

Zero Gravity

Titel: Zero Gravity Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Schuhmacher
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unendlich schwer vorkam, in ihre kleinen, schwarzen Hände; ihr Arm kribbelte noch ein wenig, aber ihre Finger waren wieder voll einsatzfähig. Gegen die Schmerzen halfen Medikamente, was auch gut war, aber das starke Beruhigungsmittel, das eine robuste Schwester ihr hatte verpassen wollen, hatte Gantt gereizt abgelehnt.
    Sie brauchte jetzt zwingend einen klaren Kopf. Nur schien das so nicht zu funktionieren.
    Die Erinnerungen an den Anschlag schwirrten und brausten in ihrem Schädel herum wie aufgescheuchte Bienenvölker; immer wieder drangen Stachel der Erinnerung schmerzhaft in ihr Bewusstsein. Es gelang ihr nicht einmal, auf der Bank einzunicken, obwohl sie sich so müde und zerschlagen fühlte wie noch nie - die schrecklichen Bilder von Canopus Joe’s Diner tauchten unweigerlich auf, sobald sie die Augen schloss. Gantt sah das verwüstete Schnellrestaurant vor sich, die Blutlachen und die verstümmelten Körper… und sie musste zwanghaft an August Struk denken.
    Von allen Menschen auf Utini war ihre Assistentin Gabby diejenige, mit der sie die meiste Zeit verbrachte; Gantt konnte den Inhalt von Gabbys Kleiderschrank auswendig aufsagen, aber ihre Beziehung - wenn man das so nennen konnte - beschränkte sich exklusiv auf »holen Sie«, »machen Sie« und »notieren Sie«. Mit Struk hingegen hatte sie bis in die tiefe Stationsnacht über [Talos] diskutiert, über Konzepte, Auswirkungen, den Markt, Design und Budgets, sogar über Politik, und das nicht selten mit harschen Worten, die Gabby zu der Annahme veranlassten, sie hätten sich gestritten. Natürlich, der Kybernetiker hatte so manche nützliche Eigenschaft vermissen lassen - zum Beispiel ein Gefühl dafür, wann ein bestimmtes Thema nicht weiter verfolgt werden sollte -, aber im Großen und Ganzen hatte Ayline Gantt August Struk im Griff gehabt. Sie wusste über seine Leibspeisen Bescheid, über die Cartoons, die er geliebt hatte, über die Musik, die er hörte, und über die schwierige Beziehung zu seiner erwachsenen Tochter.
    Ayline Gantts brennende Augen wurden feucht.
    August Struk war der einzige Mensch auf Utini gewesen, den sie abseits seiner Personalakte wirklich gekannt hatte. Er würde ihr fehlen. Und fehlen würde ihr natürlich auch der kreative Kopf hinter Projekt [Talos]. Mit einem schmutzigen Ärmel wischte sie sich die Augen, dann vergrub sie ihr Gesicht in den Händen. Seufzend sank sie tiefer in die distelfarbenen Polster der Sitzbank.
    Schon allein dafür, dass Gantt die Feldberichte ihrer drei wichtigsten Projekte nicht zum vereinbarten Zeitpunkt hatte präsentieren können, hätte ihr anspruchsvoller Boss Azer ihr am liebsten den Hintern aufgerissen. Dass sie jetzt auch noch den Wissenschaftler verloren hatte, der hinter zweien dieser Projekte gestanden hatte, konnte ihrer Karriere in Rekordzeit den Todesstoß versetzen. Struks Assistent Castro war natürlich begabt; den Neurologen, der von irgendeiner obskuren Welt der FEC stammte, zeichnete ein tiefes Verständnis für technische Möglichkeiten aus, aber ihm fehlte das gewisse Gespür, das man brauchte, um einträgliche Projekte von den lediglich unterhaltsamen zu unterscheiden, sowie der Ehrgeiz, seine Visionen auch gegen Widerstände zu verteidigen. Noch ein paar Jahre mit Struk, und Castro hätte eine sehr wertvolle Ressource werden können.
    So war er einfach nur ein weiterer überdurchschnittlich talentierter, aber antriebsschwacher Lohnsklave in ihrem ohnehin schon schwach besetzten Mitarbeiterstab.
    »Ich brauche einen klaren Kopf«, flüsterte sie durch ihre Finger hindurch. »Verdammt.«
    »Hallo«, säuselte in diesem Moment eine weibliche Stimme. Gantt ließ die Hände sinken und sah hoch. Zuerst dachte sie, die alte Dame sei erwacht, aber die schlief nach wie vor zusammengesunken auf der Bank neben dem Wasserspender.
    Vor Gantt hatte sich eine stark geschminkte, dunkelhaarige Frau aufgebaut, die ein auffälliges grünes Coordinate mit modisch transparenten Einsätzen an Rock und Ärmeln trug; grüne Schuhe mit Turmabsätzen deformierten ihre Füße, ihre Lippen leuchteten rot im fahlen Krankenhauslicht, und in der manikürten Hand hielt sie ein Note-Pad, auf dessen Hülle die Buchstaben USSR in hellem Neongrün erstrahlten.
    »Hallo«, krächzte Gantt automatisch und räusperte sich; ihre Stimmbänder waren ausgetrocknet, aber bisher hatte sie nicht genügend Energie aufbringen können, um sich am Wasserspender zu bedienen.
    Die blutroten Lippen verzogen sich zu einem sehr

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