Zerrissenes Herz (German Edition)
vielleicht würden sie nie mehr als Freunde sein. Es war durchaus möglich, dass sie sich nie wiedersahen. Trotzdem hielt Daisy in Ehren, was sie letzten Sommer füreinander gewesen waren. Es tat ihr nur leid, dass sie nicht immer mit ihm zusammen sein konnte. Er hatte ihr gezeigt, dass sie etwas ganz Besonderes war, und was vielleicht noch wichtiger war, er hatte in ihr den Wunsch geweckt, ein besserer Mensch zu sein. Mehr wie er. Ehrlich, stark und in der Lage, alles zu meistern, was das Leben einem entgegenschleuderte.
Während der Scheidung ihrer Eltern war es ihr allerdings schwergefallen, vernünftig und beherrscht zu sein. Es war schwer, das Richtige zu tun, wenn man sich so schlecht fühlte.
Nachdem sie ihr Glas Bowle erneut geleert hatte, entschiedDaisy, zu Weißwein zu wechseln. Ein Erwachsenengetränk. Die Art Getränk, zu dem die Leute griffen, wenn sie sich scheiden ließen.
„Hey, Daisy-Bell.“ Ein starker Arm schlang sich um ihre Taille.
„Selber hey. Tolle Party, Logan.“
„Aber erst, seit du da bist.“ Sie grinsten einander an.
Sie kannte Logan von Kindesbeinen an. Damals hatte sie ihm aus Versehen mit dem Tetherball eine blutige Nase geschlagen. Soweit sie sich erinnerte, war es das erste Mal gewesen, dass sie jemanden zum Bluten gebracht hatte. Sie hatte sich gefühlt, als würde die Welt untergehen, und lauter und heftiger geweint als Logan. An jenem Tag hatte Daisy sich geschworen, nie wieder jemandem wehzutun.
Über die Jahre hatten sie einander besser kennengelernt und waren gute Freunde geworden. In diesem Herbst jedoch hatte Logan angefangen, ihr eine andere Form der Aufmerksamkeit zu zeigen. Er steckte gerade in einem für ihn seltenen Lebensabschnitt – nämlich zwischen zwei Freundinnen. Und so versuchte er seit ein paar Wochen hartnäckig, Daisy zu einer Verabredung zu überreden. Bisher hatte sie widerstanden. Als sie ihn jetzt jedoch betrachtete, wusste sie selber nicht, warum.
„Du bist süß, weißt du das?“ So süß wie der letzte Schluck Wein, den sie gerade getrunken hatte.
„Das höre ich öfter. Ich wette, du auch.“
„Ich bin ein Wrack. Aber ich wäre lieber … interessant. Klug. Talentiert. Oder zumindest in der Lage, ein Bewerbungsformular fürs College auszufüllen, ohne mich wie eine Lügnerin zu fühlen.“
Er zog sie enger an sich. „Wem erzählst du das! Meine Eltern nerven mich schon seit der Vorschule mit dem College. Sie wollen, dass ich auf die Columbia oder nach Harvard gehe, oder auf eine gute Jesuitenschule wie das Boston College. Siehst du, gar kein Druck.“
„Und wo würdest du gern hingehen?“
Er drückte sie an seine Hüfte. „Wo immer mich das Lebenhintreibt.“ Mit einem großen Schluck leerte er seine Bierflasche. Dann nahm er Daisys Hand. „Komm, gehen wir an den Strand.“
Sie folgte ihm nach draußen. Der Abend war kühl, doch die Luft roch nach Meer; eine zarte Erinnerung an wärmere Zeiten.
Der Strand in Montauk schien sich endlos auszudehnen und der Zeit enthoben zu sein. Eine Mondlandschaft aus Dünen, die wie mit dem Sahnesiphon hingetupft schienen, dazwischen der eine oder andere Erosionszaun und im Wind wirbelndes Dünengras. Der Strand selber wurde zum Wasser hin immer flacher und verschwand in der spätherbstlichen Dunkelheit. Der Mond stand hell am Himmel, sein Licht glitzerte auf den heranrauschenden Wellen und verlieh den Schaumkronen einen bläulichen Schimmer.
Aus einem Impuls heraus zog Daisy sich die Turnschuhe aus und rannte zum Wasser. „Komm!“, rief sie.
„Ich bin direkt hinter dir.“
Einen Moment später hatten sie sich die Hosenbeine hochgekrempelt und standen knietief in der Brandung. Im Vergleich zur Luft fühlte sich das Wasser sogar direkt warm an.
Daisy breitete die Arme aus und öffnete den Mund und schrie laut juchzend. Logan stimmte mit ein, und dann brachen sie in ein solches Lachen aus, dass sie sich kaum noch auf den Beinen halten konnten. Daisy ließ sich an Logans Brust sinken. „Ich hoffe, wir haben die Nachbarn nicht geweckt.“
„Um diese Jahreszeit wohnt hier keiner.“
Tatsächlich, in den anderen Häusern brannte nur die Sicherheitsbeleuchtung. Das Haus der O’Donnells hingegen war hell erleuchtet, und die Partygeräusche drangen bis zu ihnen herüber. Ein tiefer Bass, der die Eingeweide zum Vibrieren brachte, dröhnte aus den Lautsprechern. Durch die Fenster konnte Daisy die Gäste sehen, die herumhüpften und tanzten oder sich unterhielten. Aus der Entfernung
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