Zerrissenes Herz (German Edition)
ganz für sich allein.
Daisy war nicht stolz auf den Betrug, aber sie musste einfach mal raus. Die Stimmung im Haus war wie in einem Beerdigungsinstitut. In jeder Ecke lauerte der Kummer, klammerte sich an den Vorhängen fest und sickerte durch die Ritzen im Fußboden. Ihre Eltern hatten ihr und Max erzählt, dass es jetzt offiziell war. Sie gaben es auf. Ihre Ehe war vorbei. Keine Trennungen auf Probe mehr, kein So-tun-als-wäre-alles-normal. Mom und Dad trennten sich. Die Bellamys würden nie wieder eine Familie sein.
Max, ihr jüngerer Bruder, schien damit ganz gut zurechtzukommen – sogar besser als mit der Ehe seiner Eltern. Die jahrelangen Bemühungen, miteinander zurechtzukommen, waren Max an die Nieren gegangen. Er hatte mit Wutanfällen reagiert und hatte sich geweigert, lesen zu lernen, was seine Eltern fast in den Wahnsinn getrieben hatte. Nachdem sie sich jedoch zu der Trennung entschlossen hatten, hatte Max auf einmal angefangen, sich wie ein normales, glückliches Kind zu verhalten – was vermutlich bedeutete, dass die Trennung auf lange Sicht die richtige Entscheidung war.
Daisy fiel es schwerer, sich damit abzufinden. Der Seelenklempner, zu dem sie alle gingen, hatte ihr gesagt, dass sie ihreGefühle zulassen müsse. Was auch immer das bedeuten sollte. Sie verarbeitete ihre Wut und ihren Schmerz dadurch, dass sie eine Meisterin darin wurde, ihre Eltern zu belügen und zu täuschen. Und so fiel es ihr auch nicht schwer, die Erlaubnis für den Wochenendausflug zu bekommen. Vermutlich waren sie nachsichtig, weil sie sich schuldig fühlten.
Die versprochene Party war ein total durchgedrehtes Fest und genau das, was Daisy brauchte. Noch bevor sie das Haus betreten hatte, das am äußersten Ende von Long Island lag, hatte sie die tiefen Bässe der Stereoanlage gehört. Der neueste Usher-Song war gespielt worden. Das Haus lag nur einen Steinwurf von Bernie Madoffs Villa entfernt, der einer der reichsten Männer New Yorks war.
Daisy wandte sich an ihre Freundin Kayla und grinste. „Ich glaube, wir haben es gefunden.“
„Nach dir“, sagte Kayla. „Aber lass uns schnell reingehen, es ist eiskalt hier draußen.“
Es war ein stürmischer Tag, der Wintereinbruch stand kurz bevor. Daisy ging ins Haus und fand sich in einem Erdgeschoss wieder, in dem es nur so von Schülern ihrer Schule wimmelte. Auf jeder Ablagefläche lagen angebrochene Chipstüten, standen Wein- oder Bierflaschen. Ein gigantischer Hummertopf thronte auf dem Tresen. Er war mit Bowle gefüllt. Okay, dachte sie. Süßes Vergessen. Daisy trank kurz nacheinander mehrere Gläser Bowle und zuckte bei jedem Schluck zusammen. Die Süße schaffte es nicht ganz, den scharfen Beigeschmack des Alkohols zu überdecken. Aber es sorgte dafür, dass Daisy sich besser fühlte. Fröhlich gesellte sie sich zu einer Gruppe, die im schummrig erleuchteten Esszimmer tanzte. Der Geruch von Hasch zog durch die Luft, das sinnliche Versprechen des Vergessens.
Vielleicht würde sie später etwas rauchen. Vielleicht würde sie sich von jemandem eine Zigarette schnorren.
Nein, das würde sie nicht. Zigaretten hatte sie für immer abgeschworen. Letzten Sommer, in Gegenwart von Julian Gastineaux. Sie hatte es ihm versprochen.
Es war lustig, wie sie sich allein beim Gedanken an ihn besser fühlte. Sie schloss die Augen, wiegte sich zur Musik, und innerhalb weniger Minuten fühlte sie wieder jenen Sommer, umgeben von einer warmen Brise und majestätischen Ausblicken auf Camp Kioga.
Wenn es das Projekt zur Renovierung des Camps nicht gegeben hätte, wären sie und Julian sich nie über den Weg gelaufen. Er kam aus einer kleinen Industriestadt östlich von L.A., sie aus Manhattans Upper East Side.
Das Schicksal war schon seltsam.
Daisy und Julian hatten keine Sommerromanze gehabt. Denn die dauerte, wie der Name ja schon sagte, nur einen Sommer lang. Die Verbindung, die sie mit Julian fühlte, sogar jetzt, obwohl er dreitausend Meilen entfernt war, war tiefer und stärker als ein einzelner Sommer, stärker als alles, was sie je erlebt hatte.
Und doch hatten sie und Julian in jenem Sommer nichts gemacht, außer Freunde zu werden. Sie hatten nicht mal rumgemacht, obwohl sie beide es gewollt hätten. Daisy war zu durcheinander gewesen. Sie hatte einen echten Freund gebraucht, keine Affäre. Sie hatte es sich mit ihm nicht vermasseln wollen, indem sie ihre Beziehung zu schnell auf eine körperliche Ebene brachte. Dazu war er Daisy viel zu wichtig.
Andererseits,
Weitere Kostenlose Bücher