Zersetzt - Thriller (German Edition)
mit meinem Vater?«
»Der Gesundheitszustand Ihres Vaters hat sich nicht verschlechtert, keine Sorge, beruhigen Sie sich. Der Grund meines Anrufes ist ein anderer. Es wurden weitere Patienten eingeliefert, mit ähnlichen Symptomen, wie sie Ihr Vater aufweist. Auch meine Mutter ist dabei. Das Krankenhaus recherchiert und sucht nach Übereinstimmungen. Eventuell kann man jetzt schneller eine Diagnose stellen, auch bei Ihrem Vater.« Julia räusperte sich kurz.
»In dem Fall ist es zwar für die anderen Patienten nicht schön, auch für Ihre Mutter tut es mir sehr leid, aber jetzt besteht wenigstens die Hoffnung, den Auslöser zu finden und vor allen Dingen zu behandeln. Danke für Ihren Anruf.«
»Wenn es etwas Neues gibt, dann melde ich mich wieder bei Ihnen.«
Weitere Patienten mit den gleichen Symptomen?
Julia nahm sich ein Glas Rotwein und setzte sich mit dem Laptop auf dem Schoß in den alten Schaukelstuhl, der vor dem Dachfenster auf sie wartete. Dieses gemütliche Möbelstück schrie förmlich nach einem neuen Anstrich. Er passte so gar nicht in die sonst modern eingerichtete Wohnung, durfte aber keinesfalls verändert werden. Julias Vater hatte den Stuhl schon oft abschleifen und streichen wollen, doch sie hatte immer gewusst, dies zu verhindern. Diese altertümliche Sitzgelegenheit hatte eine Geschichte zu erzählen, denn sie war schon lange in Familienbesitz. So wie der Stuhl war, war er gut. Julia recherchierte, las einen medizinischen Fachartikel nach dem anderen und speicherte Daten ab. Nach einigen Stunden konnte sie kaum noch die Augen offenhalten und ging ins Bett.
Durch den Dreiklang in Folge wurde Julia aus ihren Träumen gerissen, stand auf und ging gähnend an die Haustür.
»Guten Morgen, Julia, ich bin´s, Felix. Heute m-m-mach ich dich mal wach. Das Interview mit Frau S-S-S-Schweiger-Lennardt wurde vorverlegt, s-s-s-schwing die Hufe und komm runter«, tönte es aus der Gegensprechanlage.
»Ich hab noch nicht geduscht, komm du hoch«, raunzte Julia im Halbschlaf.
»Dafür ist keine Zeit, ich warte hier.«
Na klasse. Das erste große Interview, und ich kann mich nicht angemessen stylen. Julia rannte ins Schlafzimmer und zog einige Kleidungsstücke aus dem Schrank, ging ins Bad, putzte sich in Windeseile die Zähne und klatsche ein paar Hände voll Wasser ins Gesicht. So wie ich heute aussehe, nimmt mir keiner meine 27 Jahre ab. Anziehen, Haargummi, Pferdeschwanz, Wimperntusche, fertig. Und wieder musste sie in die verhassten hochhackigen Schuhe schlüpfen, aber wenn sie schon den ersten wichtigen Termin ihrer Reporterkarriere mit der amtierenden Gesundheitsministerin hatte – ungeduscht – dann musste wenigstens ihr Äußeres etwas hermachen. Zum Schluss schnappte sie sich die schicke Ledertasche, die sie nach ihrem Studium von ihrem Vater geschenkt bekommen hatte. Kurz bevor sie die Wohnung verließ, wagte sie noch einen kurzen Blick in den Garderobenspiegel und beschloss, dass sie mit ihren 1,75 Meter einfach nur zu klein für die Pölsterchen rund um ihre Hüften war.
»Hey Baby, Kostüm, kurzer Rock und hochhackige S-S-Schuhe. Jetzt wird’s aber doch m-m-mal Zeit, dass du m-m-mit mir ausgehst«, frotzelte Felix, der in einem saloppen Outfit dastand. Seine braunen Locken versteckte er unter dem Base-Cap, die er sich so früh am Morgen tief ins Gesicht gezogen hatte.
»Bin ich ja gar nicht gewohnt von dir, dass du so früh aufstehst. Hattest du gestern keinen Auftritt mit deiner Band?«, fragte Julia auf dem Weg zum Auto.
»Nein, ich m-m-musste noch einige Fotos bearbeiten und in der Redaktion abgeben«, erwiderte Felix und zwinkerte ihr mit seinen braunen Augen zu. Julia wusste, dass er politisch grün angehaucht war und selbst kein Auto besaß, so waren sie gezwungen, ihren alten Golf zu nehmen. Nach dem fünften Versuch und gutem Zureden sprang der Wagen an. Auf der Fahrt zum verabredeten Treffpunkt mit Frau Schweiger-Lennardt erzählte Julia Felix von ihren Sorgen um ihren Vater. Er hörte geduldig zu.
»Wenn du m-m-meine Hilfe brauchst, du kannst auf m-m-mich zählen.« Julia lächelte und knuffte Felix freundschaftlich in die Seite. Der Eindruck, den sie bisher von ihm hatte, schien sich zu bestätigen. Ein Typ zum Pferdestehlen. Ich finde, sein Stottern ist schon weniger geworden - oder ist das nur bei mir so?
Die Gesundheitsministerin, eine attraktive Frau Ende Vierzig, betrat den Raum. Ihre braunen, schulterlangen Haare mit der schwungvoll nach außen
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