Zersetzt - Thriller (German Edition)
nur lief, weil man aus Gewohnheit am Abend den Knopf des Fernsehers betätigt hatte. Zwischen Trance und vollem Bewusstsein. Julia wusste, dass etwas Schlimmes passiert sein musste, warum sollte das Krankenhaus sonst bei der Zeitung anrufen und sie direkt aus der Redaktionssitzung zitieren? Sie biss sich auf ihre Lippen. Nervosität quittierte ihr rechtes Bein seit ihrem Trauma immer mit einem Zittern, das sich vom Oberschenkel bis in den kleinen Zeh ausbreitete. Dort angelangt zappelte das komplette Bein einen gleichbleibenden, schnellen Rhythmus.
Julia sah nur einen Schatten, der an ihrem starren Blick vorbeihuschte. Instinktiv trat sie auf die Bremse. Durch das Quietschen der Reifen erschreckt, zuckte die ältere Dame auf dem Zebrastreifen zusammen und ging dann wild gestikulierend ihres Weges.
Julia hörte die Worte der Ärzte immer noch in ihren Ohren nachhallen – »Es war richtig, ihn nach Berlin zu bringen, hier können wir ihm helfen«. Dabei hatten sie keine Ahnung, genau wie die Ärzte in den letzten fünf Krankenhäusern in Freiburg. Karl wurde immer schwächer. Unerklärliche Symptome hatten sich im letzten halben Jahr gehäuft.
Um das Elisabethen-Krankenhaus war ein Gerüst aufgestellt. Julia sah sich auf dem Weg vom Parkplatz bis zur Klinik das alte Gemäuer an und zweifelte, ob die Empfehlung, Karl hierher zu verlegen, richtig gewesen war. Krankenhäuser. Sie hatte mittlerweile eine Abneigung gegen diese kahlen, weißen Wände. Selbst die abstrakten Bilder, die dort hingen, waren nichtssagend und konnten dem Ambiente definitiv keinen fröhlichen Touch verleihen. Die Neonbeleuchtung unterstrich die kalte Atmosphäre. Der Geruch nach Bohnerwachs, Desinfektionsmittel und Urin war unangenehm. Das Vertrauen zu Ärzten, die sie immer wie ein kleines, dummes Kind behandelten, war schon lange gebrochen.
Ihre Schuhe quietschten auf dem abgelatschten Linoleumboden. Sie zupfte nervös an einer langen, blonden Haarsträhne, die ihr über die Augen fiel, während die Krankenschwester beschwichtigte.
»Mir ist nichts bekannt, aber wenn Sie angerufen wurden, dann wird es schon seine Richtigkeit haben. Sprechen Sie mit dem behandelnden Arzt, er kann ihnen weiterhelfen.« Verstört und etwas desorientiert machte sich Julia auf den Weg ins Arztzimmer. Eine der Migräneattacken, die sie immer wieder heimsuchten, kündigte sich durch ein leichtes Klopfen unter der Schädeldecke an. Das Pochen verstärkte sich mit jedem Schritt, den sie sich ihrem Ziel näherte. Den Film, der gerade in ihrem Kopfkino abgespielt wurde, wollte Julia nicht sehen, doch den OFF-Knopf konnte sie nicht entdecken. Die Tür zum Arztzimmer war nur angelehnt und ein älterer Herr mit schräg über die Glatze gekämmten, weißen Haaren bat Julia, einzutreten.
»Sie sind Julia Hoven, die Tochter?«
»Ja, was ist los, Herr Doktor, warum haben Sie angerufen?«
»Mein Name ist Dr. Pupescu, ich bin Chefarzt der Kardiologie. Wir mussten Ihren Vater auf die Intensivstation verlegen, da sich sein Zustand drastisch verschlechtert hat. Zu den Unterleibsschmerzen, dem Blutdruckabfall, der plötzlichen Erblindung auf einem Auge und den schweren Herzrhythmusstörungen haben wir eine Herzmuskelentzündung diagnostiziert.«
Für einen kurzen Moment setzte Julias Atmung aus. Erschrocken und verängstigt über diese Aussage kullerten Tränen über ihre Wangen.
»Aber warum, was ist die Ursache? Konnten Sie mittlerweile etwas herausfinden?«, schluchzte Julia, die kein Taschentuch in ihrer viel zu großen Handtasche finden konnte und ihre Tränen an den Ärmel ihres T-Shirts abwischte. Der Kardiologe griff in seine Schreibtischschublade und schob ihr ein Päckchen über den Tisch.
»Nein, wir haben noch nicht alle Untersuchungen abgeschlossen, aber ich verspreche Ihnen, wir tun unser Möglichstes.«
»Das hat man uns in den letzten Krankenhäusern auch erzählt, und es wurde keine Ursache gefunden. Im Gegenteil, die Symptome werden immer schlimmer, das sehen Sie ja selbst«, erwiderte Julia verzweifelt.
»Beruhigen Sie sich. Sobald wir mehr wissen, melden wir uns sofort bei Ihnen. Er ist soweit stabil, Sie können ihn jetzt auf der Intensivstation besuchen, aber nur kurz.«
Karl war kaum wiederzuerkennen. Eingefallen, blass und ohne jeglichen Gesichtsausdruck lag er leblos im Krankenbett. Die grau melierten Haare, die vor dieser ominösen Krankheit nur seine Schläfen geziert hatten, bedeckten jetzt den kompletten vorderen Bereich seines
Weitere Kostenlose Bücher