Zersetzt - Thriller (German Edition)
gedrehten Föhnwelle wippten bei jedem Schritt nach. Die Politikerin setzte sich Julia gegenüber in den breiten Sessel und sackte in das weiche Leder ein. Eine freundlich lächelnde Assistentin brachte Kaffee und Kekse, die sie auf einem Tablett balancierte. Das Servierbrett stellte sie mit den vollen Tassen vor Julia auf das kleine antike Tischchen. Perfekte Vorbereitung ist die halbe Miete. Julia zog die Ausarbeitung der Interviewfragen aus der Tasche und legte sie auf den Tisch. Der Versuch, Milch in ihren Kaffee zu schütten, scheiterte kläglich. Die Tasse kippte um, und die Kaffee-Milch-Mischung landete auf dem Fragebogen. Na klasse, so kann dich keiner ernst nehmen. Frau Schweiger-Lennardt verzog keine Miene, räusperte sich kurz, nahm ihre Tasse, spreizte den kleinen Finger ab und trank in gesellschaftlich einwandfreier Etikette einen Schluck Kaffee. Felix grinste Julia hinter seiner Kamera an und fotografierte weiter. Der Fragebogen war durch die unvorhergesehene Dusche unbrauchbar und Julia suchte verzweifelt nach den abgespeicherten Informationen in ihrem Gehirn.
»Entschuldigung«, sagte Julia, während sie die Flüssigkeit mit mehreren Tempotaschentüchern aufsog. Jetzt nur nichts anmerken lassen. Sie muss nicht erfahren, dass dies nach dem Gespräch mit dem Vorsitzenden des Kleintierzuchtvereins das erste große Interview in meiner Karriere ist.
»Kein Problem, das kann jedem passieren«, beschwichtigte die Gesundheitsministerin und lehnte sich grinsend zurück in ihren Sessel. Julia wurde warm und sie merkte, wie sich eine leichte Röte in ihrem Gesicht breitmachte.
»Gibt es Persönlichkeiten, von denen Sie sich leiten lassen?«, war die erste noch schüchterne Frage von Julia. Die Ministerin antwortete gekonnt diplomatisch und Julia wurde von Fragestellung zu Fragestellung souveräner. Sie konnte sogar einige private, bisher unbekannte Details von Frau Schweiger-Lennardt in Erfahrung bringen. Julia beugte sich nach vorne zu dem Tisch und kontrollierte für die letzte Frage vorsichtshalber das Aufnahmegerät.
»Sie stellen sich dieses Jahr als Kanzlerkandidatin Ihrer Partei für die kommenden Wahlen. Mit welchen Themen möchten Sie bei den Wählern punkten?« Die Antwort der Ministerin kam prompt:
»Wie Sie sich denken können, lege ich einen Hauptaugenmerk auf die Gesundheitspolitik. Hier muss sich einiges ändern. Ob es nun die Pflege unserer älteren Mitbürger betrifft, die Grundprinzipien der gesetzlichen Krankenversicherungen oder die Gewährleistung der gesundheitlichen Versorgung. Ein ganz wichtiges Thema ist hier die Krankenhauspolitik. Ich halte guten Kontakt zu verschiedenen Klinikleitern und bekomme so Informationen direkt von der Basis.«
»Vielen Dank für Ihre Zeit, Frau Ministerin.«
»Gern geschehen. Die Pressestelle steht dem Berliner Anzeiger jederzeit für weitere Fragen zur Verfügung.«
Auf dem Weg in die Redaktion machte Julia noch vor dem Elisabethen-Krankenhaus halt. Felix wartete im Auto. Auf der Kardiologie angekommen, klopfte sie an die Tür des Arztzimmers. Nachdem der Chefarzt den stabilen Zustand ihres Vaters bestätigt hatte, lehnte er sich in seinem breiten Bürostuhl zurück und nahm einen großen Schluck aus seiner Teetasse. Seine Körperhaltung und der Gesichtsausdruck verrieten eine gewisse Übermüdung.
»Was ist mit den sechs anderen Patienten, die mit identischen Symptomen eingeliefert wurden? Konnten Sie schon einen Zusammenhang feststellen?« Durch die angespannte Zornesfalte zogen sich Dr. Pupescus Brauen so zusammen, dass über seinen Augen nur noch ein dicker, brauner Balken zu sehen war.
»Woher wissen Sie das?«
Julia stockte. »Eine Verwandte von einer Bekannten ist eingeliefert worden«, war die schnellste Antwort, die ihr einfiel.
»Darüber darf ich Ihnen keine Auskunft erteilen, ärztliche Schweigepflicht, das verstehen Sie doch. Nur so viel, wenn es etwas Neues gibt, was Ihren Vater betrifft, bekommen Sie Bescheid. Jetzt muss ich zur Visite, tut mir leid.« Julia verabschiedete sich und lief kopfschüttelnd auf den Gang.
Oberschwester Kati trat aus der Tür eines Patientenzimmers und schob einen Medikamentenwagen zur Seite.
»Ich bringe Ihnen morgen wieder ein Rätsel mit, versprochen, Frau Gruber. Diesmal wird es aber komplizierter.« Kati Schröder wandte sich zu Julia:
»Frau Hoven, warten Sie mal einen Moment, bitte.« Sie ließ die Türklinke los und kontrollierte ihren streng nach hinten gebundenen Zopf.
»Wir
Weitere Kostenlose Bücher