Zersetzt - Thriller (German Edition)
polieren sollte, damit sie ihr nicht aus der Hand glitten und zurück ins unendliche Menschenmeer gespült würden. – Felix!
Julia schüttelte ihren Kopf und ermahnte sich zum Handeln.
»Felix, hörst du mich?« Sie streichelte über seine Wange. Blut lief aus seinem Mund.
»Oh Gott. Felix!« Julia wurde von Tränen geschüttelt. Sie schob das Shirt nach oben und sah die Schusswunde. Für diesen kurzen Moment waren ihre eigenen Qualen nicht gegenwärtig. Sie konnte nicht mehr an das gerade Geschehene denken, das Warum oder Wie. Ihre Gefühle für Felix waren so tief und doch wurden ihr diese erst jetzt bewusst, jetzt wo es zu spät sein konnte.
Julia suchte in ihrer Jeanshose nach dem Handy, doch während der verwirrten, hektischen Suche wurde ihr klar, dass ihre Handtasche und das Smartphone im Bootshaus verbrannt waren und sie noch keinen Ersatz besorgt hatte. Sie zog verzweifelt Felix' Handy aus dessen Hosentasche. Aus. Nass. Kein Ton.
»Hilfe, Hallo!«
Julia wurde von einer eisigen Kälte erfasst und geschüttelt. Mit klammer Hand griff sie an Felix' Hals, um den Puls zu fühlen. Nichts. Kein Pochen. Julia drückte mit beiden Händen, die sie übereinandergelegt hatte neben die Wunde auf seine Brust.
»Eins, zwei, drei, vier, fünf…«, Sie presste ihre Lippen auf seine, atmete ein und stieß die Luft in seinem Mund wieder aus. Der Kopf hängt schief, so bekomme ich nichts in seine Lungen. Sie legte ihre Hand unter Felix' Kinn, hob seinen Kopf an und drückte ihn leicht nach hinten. Wieder presste sie ihre Lippen auf seine.
»Eins, zwei, drei, vier, fünf…«
»Felix bitte, lass mich nicht allein.« Atmen. Herzmassage. Atmen. Herzmassage.
»Felix ...« Sie wischte das Blut an seinem Mund ab.
Wieder fühlte sie nach seinem Puls. Auch diesmal konnte sie nicht den kleinsten Aderschlag spüren.
Julia hievte sich auf ihre wackeligen Beine nach oben und schwankte in Richtung Café, das nach Felix' Beschreibung ganz nah sein musste. Sie starrte auf das schwarze Display des Mobiltelefons in ihrer Hand. Ihre Finger huschten über den kleinen Bildschirm. Im gleichen Atemzug hörte sie ein Rascheln hinter einem Baum und drehte sich um. Eine vermummte Person mit einem Gewehr im Anschlag sprang mit zwei Schritten auf Julia zu … Der äußere Bereich ihres Sichtfeldes verschwamm. Ihre Beine wurden warm und schwer. Diese Schwere kroch langsam über ihren Körper und brachte ihn mit aller Macht in seine Gewalt. Die kurzen Bildausschnitte, die Julia noch wahrnehmen konnte, zuckten und detonierten dann in einer schwarzen Leere.
***
Es regnete in Strömen. Julia zitterte am ganzen Leib. Sie spürte ihre malträtierten Gelenke, ihre geschundene Hautoberfläche und jede Zelle ihres Körpers ganz bewusst. Sie saß auf einer Parkbank und betrachtete sich selbst wie eine Fremde. Ich bin Julia Hoven, Journalistin des Berliner Anzeigers – was ist passiert? Okay ich will mal eine gute Journalistin werden. Mein Vater ist krank und liegt im Elisabethen-Krankenhaus – wie komme ich hierher? Ihre Bluse war zerrissen und der Verband ihrer rechten Hand durchnässt. Ihr Schädel dröhnte. Sie wusste nicht, wo sie sich befand, noch wie sie an diesen Ort gelangt war. Aber was noch viel schlimmer war, sie wusste, dass etwas Schreckliches passiert sein musste, und konnte sich nicht daran erinnern. Ich war mit meinen Eltern unterwegs – oh Gott der schreckliche Unfall – Mama. Nein das ist schon länger her, das kann es nicht sein. Ich habe recherchiert, ja es geht um Hüftimplantate – oder? Daddy? Scheiße! Denken, Julia, reiß dich zusammen, du musst dich beeilen – warum? Keine Ahnung. Sie krempelte ihr Hose hoch und sah die Blutergüsse. Das Atmen fiel ihr schwer. Sie griff an ihre Rippe und drückte gegen den Schmerz. Was soll ich tun? Wo soll ich hin? Polizei? Krankenhaus? Nein . Ich muss herausfinden, was passiert ist, mich erinnern, ich habe keine Zeit. Wer könnte … ich kenne keinen in Berlin. Dr. Seifert .
Heute
»Dr. Seifert«, rief Julia, als sie die Augen öffnete.
»Ich muss die Polizei anrufen. Felix, um Felix ging es die ganze Zeit. Bitte, Frau Dr. Seifert, bitte das Telefon.«
»Langsam, Frau Hoven, Sie sind jetzt den zweiten Tag bei mir in der Praxis. Die Hypnose war sehr anstrengend für Ihren geschundenen Körper.«
»Bitte Frau Dr. Seifert. Ich muss wissen, ob Felix noch lebt – aber wie sollte er. Es war niemand in der Nähe, ich konnte keinen Notruf absetzen und
Weitere Kostenlose Bücher