Zersetzt - Thriller (German Edition)
verabschiedete die Zwei-Uhr-Nachrichten. Julia machte es sich auf der Rückbank bequem und steckte sich, da sie keine Lust auf Klassik hatte, die Kopfhörer ihres MP3-Players in die Ohren. Martina kramte ein Pfefferminzbonbon aus ihrer Tasche und reichte es ihr nach hinten. Sie blinzelte Julia zu, die beiden verstanden sich auch ohne Worte. Klassik war auch nicht Martinas Musikgeschmack, aber sie sagte immer: »In einer Beziehung musst du Kompromisse eingehen und ab und an deine eigenen Interessen zurückstellen.«
Karlsruhe hatten sie bereits hinter sich gelassen. Die milchige Suppe wurde dichter. Auf dem Display konnten sie verfolgen, wie die Temperatur draußen von Minute zu Minute fiel. In der Ferne tauchten die Lichter einer Warnblinkanlage eines Pkws auf dem Seitenstreifen auf.
»Karl, halt an, du kannst den Leuten bestimmt helfen«, schlug Martina vor. Der leichte Nieselregen verwandelte die Fahrbahn in Sekundenschnelle in eine Rutschbahn. Vater Karl passte seinen Fahrstil den Gegebenheiten an, fuhr auf den Seitenstreifen und stellte sein Fahrzeug hinter dem liegen gebliebenen Wagen ab.
»Ihr bleibt im Auto, ich schau mal, ob ich helfen kann«, entschied Karl mit rauer Stimme, stieg aus und ging an den Kofferraum, um sich die Warnweste überzuziehen. Der Fahrer des Pannenfahrzeugs vor ihnen hatte die Motorhaube geöffnet, hinter der Karl verschwand. Martina rutschte auf ihrem Sitz hin und her und wischte immer wieder die beschlagene Windschutzscheibe ab.
»Er hat die Taschenlampe vergessen«, fiel ihr dann ein. Sie suchte im Handschuhfach und sagte zu Julia gewandt:
»Du bleibst hier, ich bin gleich wieder da.« Noch bevor Julia antworten konnte, hatte Martina die Beifahrertür geöffnet, stieg aus, drehte sich noch mal zu ihr um und ging dann am Auto vorbei zu Karl hinüber.
Julia überkam ein seltsames Gefühl, das sie nicht erklären konnte. Die Beunruhigung steigerte sich, mit jeder Sekunde, die verging. Es lag eine gespenstische Ruhe in der Luft. Jetzt hielt es sie auch nicht mehr auf der Rückbank, und sie schnallte sich ab. Genau in diesem Augenblick donnerte ein weiteres Fahrzeug in das Heck des Wagens ihrer Eltern. Die Wucht des Aufpralls presste sie in den Sitz und katapultierte ihren Kopf nach hinten gegen die Stützen der Rückbank. Mit einem gewaltigen Ruck schlug Julias Körper in der nächsten Sekunde nach vorne und ihr Kopf knallte auf die Nackenstütze des Beifahrersitzes. Schlagartig wurde ihr Brustkorb zusammengequetscht, sodass sie keine Luft mehr bekam. Diese enormen Kräfte, die jetzt auf sie einwirkten, schnürten den Oberkörper ab und ihr wurde schwarz vor Augen. Blut lief über ihre Stirn, rann am Hals entlang und tropfte auf ihre Jacke. Als sie nach einigen Sekunden wieder zu sich kam, hatte sie nur einen Gedanken: meine Eltern .
Aussteigen – sie musste aus diesem Wagen raus. Trotz seiner stabilen Karosserie war der BMW so verschoben, dass Julia die hinteren Türen nicht öffnen konnte. Bauchkrämpfe setzten ein. Julia ließ von der Tür ab, hielt ihren Unterleib und krümmte sich vor Schmerzen. Der Blick durch die Windschutzscheibe verriet, dass ihr Fahrzeug direkt in das Pannenfahrzeug, einen alten Ford, gekracht war. Sie musste raus, denn es bestand durchaus die Möglichkeit, dass bei dieser Witterung weitere Verkehrsteilnehmer dem letzten folgten.
Julia musste auf den Vordersitz klettern, doch die Anstrengung beschleunigte den Blutfluss. Es lief in ihre Augen, die sie zukneifen musste. Ein Taschentuch, ich muss etwas finden, um es auf die Wunde zu drücken . Fast blind konnte sie sich nur auf ihren Tastsinn verlassen. So kletterte sie mit großer Mühe auf den vorderen Sitz und suchte in der Handtasche ihrer Mutter nach einer Packung Taschentücher. Mama? Der Kopf schmerzte und dröhnte, er fühlte sich an, als wäre er nur noch mittels eines kleinen Zipfels am Rumpf festgetackert. Julia stemmte sich mit aller Kraft gegen die Tür. Nach mehreren Versuchen, Zerren und Rütteln, gab das verbeulte Schloss seinen Widerstand auf.
»Julia? Julia?«
Die Stimme ihres Vaters. Ihr fiel ein Stein vom Herzen. Sie stieg aus dem Wagen. Während sich Julia an den Überresten des verbeulten Ford entlang nach vorne drückte, konnte sie nichts mehr denken, ihr Gehirn war ein schwarzes, leeres Vakuum. Vom Anblick ihres Vaters geschockt, wurden ihre Synapsen wieder aktiviert. Sie ließ sich neben Karl auf die Knie fallen, dessen Beine eingequetscht unter dem Auto lagen,
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